Wissenschaftlicher Vortrag Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert spricht in Trier über Religion und Politik

Trier · Der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert hat sich in einem Vortrag an der Universität Trier mit dem Spannungsverhältnis zwischen Religion und Politik auseinandergesetzt. Die Bedeutung der Ethik als neue prägende Kultur kommt dabei erst in der Diskussion zur Sprache.

 Universitätspräsident Michael Jäckel (links) mit dem früheren Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (Mitte) und Helmut Schröer im Audimax der Trierer Uni. Schröer ist  der Vorsitzende des Freundeskreises der Universität, der als Verein zum 50-jährigen Bestehen die Vortragsreihe organisiert, zu der Lammert eingeladen wurde.

Universitätspräsident Michael Jäckel (links) mit dem früheren Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (Mitte) und Helmut Schröer im Audimax der Trierer Uni. Schröer ist  der Vorsitzende des Freundeskreises der Universität, der als Verein zum 50-jährigen Bestehen die Vortragsreihe organisiert, zu der Lammert eingeladen wurde.

Foto: TV/Katharina Fäßler

Die gepolsterten Klappsitze des neuen Audimax, des größten Hörsaals der Universität Trier, leuchten in verschiedenen Blautönen. Etwa 80 Prozent davon sind mit Zuhörern verschiedener Altersklassen besetzt. Ein Student erzählt seinem Kumpel, er habe Lammert gegoogelt und bei Youtube ein Video mit dessen schönsten Sprüchen gesehen. Andere packen Papier und Kugelschreiber aus. Vielleicht haben sie schon einmal über das Spannungsverhältnis zwischen Religion und Staat nachgedacht. Vielleicht gehört der eine oder andere zu den 621 Trierern, die im Jahr 2018 aus der Kirche ausgetreten sind.

Dass das Thema Kirchenpolitik „spannungsvoll“ sei, zeigt der Präsident der Universität Trier, Michael Jäckel, hinführend, indem er von mehreren Zeitungs- und Magazinartikeln erzählt, die er in letzter Zeit gelesen hat. Doch niemand kennt sich heute Abend so gut aus wie Norbert Lammert, der sich mit dem Thema seit vielen Jahren auseinandersetzt.

Der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, der seit seinem 18. Lebensjahr Mitglied der CDU ist, hat unter anderem Politikwissenschaft und Neuere Geschichte studiert und in den Sozialwissenschaften auch promoviert. Er stellt sich und den Zuhörern zwei Fragen:

Wie viel Religion erträgt eine aufgeklärte moderne Gesellschaft? Und wie viel Religion braucht ein demokratisch verfasster Staat? Lammert vertritt die These, dass sich diese Fragen eben nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich wechselseitig bedingen. In seinen „Anmerkungen zu einem unauflösbaren Spannungsverhältnis“, wie er seinen Vortrag betitelt, argumentiert er, dass die demokratisch verfasste Gesellschaft nur auf Grundlage religiöser Werte ihre heutige Entwicklung genommen hat, gleichzeitig aber dennoch eine gewisse Trennung von Staat und Religion erfolgen muss. Es sei falsch zu behaupten, die beiden hätten nichts miteinander zu tun. Denn Politik und Religion hätten eine fundamentale Gemeinsamkeit: sie seien beide im Lauf der Geschichte mächtige rechtlich oder faktisch bindende Institutionen mit Geltungs-  und Gestaltungsanspruch gewesen. Der große Unterschied sei: Religionen handelten von Wahrheiten, Politik von Interessen.

Man müsse aufpassen, die persönliche Religiosität als geschützten Raum persönlicher Entfaltung nicht mit politisiertem Fundamentalismus zu verwechseln.  Die Anmaßung, die Religion zu Recht zu machen und dieses dann zu exekutieren, sei natürlich eine Gefahr. Diese Instrumentalisierung, die manche muslimische Staaten heutzutage erlebten, sei aber auch in christlich geprägten Staaten schon geschehen. „Fast nichts davon ist neu“, sagt Lammert. Er glaubt aber auch, dass die Ignoranz, Religion als belanglos für moderne Gesellschaften zu interpretieren, ebenfalls gefährlich sei. „Auch unser Staat wird und kann nicht auf religiöse Bezüge verzichten“, sagt Lammert.

In der aufgeklärten demokratischen Gesellschaft säßen viele dem Fehlglauben auf, man brauche keine informellen Verbindlichkeiten mehr. Alles was gelten muss, stehe ja in unserer Verfassung. Dabei sei diese nur der Ausdruck von Überzeugungen einer Gesellschaft. Das Grundgesetz werde seit seiner Einführung immer wieder an die Normen der Gesellschaft angepasst. Bisher sei es aber ein hochideologischer und tiefreligiöser Text. Deutschland sei schließlich das beste Beispiel dafür, dass es theoretisch immer möglich ist, die Würde des Menschen anzutasten.

Sein Befund: Der innere Zusammenhalt einer Gesellschaft werde immer durch Kultur und nicht durch Märkte, Politik oder Rechtsordnungen geschaffen.  Er sieht Religion hier als „besonders orientierungsprägende Kultur“.

Lange sei Religion das Mindestmaß an Gemeinsamkeiten gewesen, das eine Gesellschaft für ihren Zusammenhalt brauche. Da heute in Deutschland so viel weniger Menschen religiös seien, es viele verschiedene Religionen gebe und viele auch innerhalb einer Konfession unterschiedlich glaubten, sei es wichtig, dass Politik heute allen Weltanschauungen zugänglich sein müsse.

Lammert beobachtet aber, dass die christlichen Werte immer noch erstaunlich konstant angenommen würden. Er fragt sich, warum die Zahl der Menschen, die die christlichen Werte in Deutschland für unverzichtbar halten, gestiegen sei. Vielleicht liege es daran, dass man Deutschland auch stärker als christliches Land darstellen wolle, um sich von anderen Religionsgemeinschaften abzugrenzen.

In der Politik wie auch in der Religion vertraue man den Institutionen nicht mehr. Das Interesse am Sachverhalt selbst steige aber. Glaubensverlust und Politikverdrossenheit, wie das Kirchen und Parteien nennen, gebe es nicht. Er denkt: „Politikverdrossenheit ist eher die gut gemeinte Sammelbezeichnung frustrierter Verwalter politischer Institutionen, die die Bindungsverweigerung der von ihnen angesprochenen Personen beklagen. Und auf ähnlich preiswerte Weise versuchen die Kirchen, sich über den Bindungsverlust in den eigenen Reihen hinwegzumogeln, indem sie sagen, alle Behauptungen eines grundlegenden Reformbedarfs der Kirche verfehlten den eigentlichen Kern des Problems, den Glaubensverlust.“

Lammert plädiert für eine sorgfältige Trennung und für intelligente Verbindung von Politik und Religion. Letztere sei zwar privat, habe aber immer auch gesellschaftliche Bedeutung gehabt. Die Geschichte habe gezeigt, dass eine demonstrative Absage an Religion eine Gesellschaft weder moderner noch humaner mache.

Die Diskussion im Anschluss leitet der Altoberbürgermeister der Stadt Trier, Helmut Schröer. Die Fragenden thematisieren auch Philosophie und Ethik als neue Alternativen zur Religion in einer modernen Gesellschaft. Marvin Dittmer, Geschichts- und Philosophiestudent, fragt in die Runde, ob heutzutage nicht auch die Philosophie die Aufgabe der Religion teilweise ablösen könnte. Lammert antwortet, dass Philosophie noch nie so institutionalisiert war, wie Religion. Dittmer sagt anschließend: „Im Vortrag schwang ein sehr wertekonservatives Weltbild mit. Ich denke, dass eine inhaltliche ethische Kritik zu kurz kam. Konfessionslose legen geltende Moralvorstellungen ja nicht ab, sie ersetzen sie bewusst durch etwas Neues.“ Er glaubt, dass sich in Zukunft vielleicht eine säkulare Ethik-Gemeinschaft als Ergänzung zu den großen Kirchen bilden könnte.

Gudrun Schmalzbauer, promovierte Expertin für byzantinische Geschichte, bewertete den Vortrag als rhetorisch klar und das Thema als  facettenreich analysiert. Der Geschichts- und Germanistikstudent Leonard Preisler fand  die aufgezeigten Parallelen aus Vergangenheit und Gegenwart besonders spannend. Er hätte sich aber noch konkretere Impulse gewünscht. Womöglich hat Norbert Lammert ja mit seinen Anmerkungen bei Jung und Alt einen solchen Impuls zur Diskussion geweckt.

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