Extreme Hochs und Tiefs
TRIER. Wilhelm Busch hat sie gehabt, Peter Tschaikowski und Vincent van Gogh, auch Robbie Williams soll daran leiden: Bipolare Störungen sind eine Erkrankung, die sich in extremen Stimmungsschwankungen äußert. In Trier gründet sich derzeit eine Selbsthilfegruppe. Der TV hat die Initiatorin getroffen.
Familie und Freunden galt Wilma Krämer (Name geändert) immer als eine Frau, die alles schafft. Sie hatte erfolgreich studiert, mehrere Berufsausbildungen abgeschlossen, noch mit Anfang 40 ein Referendariat im Schuldienst absolviert und war als engagierte Lehrerin bei ihren Schülern beliebt. Mit Links hatte die Triererin außerdem zwei Kinder alleine großgezogen. Dann kam sie in die Psychiatrie. Vorausgegangen war eine Phase, in der es ihr immer schlechter ging, ständig war sie krank. Und plötzlich galt das Gegenteil: Mitten in der Nacht war sie putzmunter, schrieb stundenlang Gedichte. Sie verdrängte die seltsamen Anwandlungen. Bis sie Stimmen hörte. Depression, Schizophrenie: Die Diagnosen wechselten mehrfach. Schließlich stand fest, dass Wilma Krämer an einer bipolaren Störung leidet. Einer krankhaften Störung des Gefühlslebens, die die Betroffenen extremen Emotionen aussetzt und auch als manisch-depressive Erkrankung bekannt ist. Manie und Depression (siehe Hintergrund) wechseln sich immer wieder ab. Zwischen den Krankheitsphasen liegt ein meist symptomfreies Intervall. Schätzungen zufolge leiden bis zu zwölf Prozent der Menschen an Krankheiten aus dem bipolaren Spektrum. Bei den meisten manifestiert sich die Störung zwischen dem 15. und 19. Lebensjahr. Bipolare Störungen können sehr unterschiedliche Gesichter haben und werden deshalb oft spät - oder gar nicht - erkannt. Wilma Krämer, heute 47 Jahre alt, erkrankte vor eineinhalb Jahren. Sie hat intensive Ursachenforschung betrieben. Die Störung hänge bei ihr mit einer Schilddrüsen-Erkrankung zusammen, berichtet sie. Hinzu komme, dass sie sich zuvor jahrelang bis hart an die Grenze belastet habe. Als dann ihre Partnerschaft in die Brüche ging, die Kinder auszogen und zudem noch berufliche Perspektiven wegbrachen, sei es zum "totalen Zusammenbruch der Festplatte" gekommen. "Ich dachte immer: Es geht alles. Aber der Körper lässt sich nicht ungestraft ausbeuten." Für Wilma Krämer war die Diagnose ein ungeheurer Schock. Sie? Psychisch krank? "Ich habe nie gedacht, dass mir so etwas passieren könnte." Heute hat sie ihre Störung im Griff. Und das ohne starke Medikamente: Bestimmte Fettsäuren helfen ihr, die Balance zu wahren - und Sport: "Wenn ich Anzeichen einer Manie oder Depression bemerke, laufe ich zwei, drei Stunden, und es geht mir besser." Absolutes Muss ist allerdings, dass sie Stress und Druck von sich fern hält. Die Arbeit als Lehrerin hat sie nach mehreren vergeblichen Versuchen, ihrer Krankheit gemäß eingesetzt zu werden, aufgegeben. Der Rentenantrag läuft. Die Triererin hat sich neue Aufgaben gesucht: Sie musiziert, schreibt - und unterstützt andere Betroffene. Derzeit gründet sie in Trier eine Selbsthilfegruppe. "Viele Menschen mit bipolarerer Störung bringen sich um, weil sie niemanden haben und keine Perspektive sehen", sagt Wilma Krämer. Jeder Vierte unternimmt einen Selbstmordversuch. Dagegen will sie ankämpfen. "Es gibt große Chancen, die Krankheit zu behandeln und gut damit zu leben", sagt sie und verweist auf die vielen Größen mit bipolarer Störung - neben Künstlern auch Staatsmänner wie Abraham Lincoln. "Man kann mit dieser Krankheit tolle Leistungen vollbringen. Es kommt nur darauf an, wie man damit umgeht." Weitere Informationen zur Selbsthilfegruppe für Menschen mit bipolarer Störung gibt es bei der Trierer Selbsthilfe-Dachorganisation Sekis unter Telefon 0651/141180.