Forschung im Kühlschrank der Erde

Trier · Der Sommer ist die beste Zeit, um ins ewige Eis zu gehen. Dann sind Arktis und Antarktis zugänglicher; es ist hell und vergleichsweise warm. Ideale Umstände für den Trierer Meteorologen Günther Heinemann, das Eis, den Ozean und die Atmosphäre an den Polen zu untersuchen und so den Klimawandel zu verfolgen.

Trier. Idyllisch wirkt der glatte Eisberg im blauen Nordmeer auf dem Foto in Günther Heinemanns Büro in der Universität Trier, klein und dünn. "Der Eisberg ist etwa zehn Meter hoch", erklärt der Umweltmeteorologe. Nur rund zehn Prozent seien sichtbar, der Rest liege unter Wasser. Das mache sie für die Schifffart so gefährlich.
Bipolare Forschungen

 Der Trierer Meteorologe Günther Heinemann erforscht in der Laptewsee vor Sibirien die Entstehung des Meereises sowie dessen Wechselwirkungen mit Atmosphäre und Ozean. TV-Foto: Mechthild Schneiders

Der Trierer Meteorologe Günther Heinemann erforscht in der Laptewsee vor Sibirien die Entstehung des Meereises sowie dessen Wechselwirkungen mit Atmosphäre und Ozean. TV-Foto: Mechthild Schneiders


Eisberge sind alles andere als idyllisch. Wenn sie von den riesigen Eisflächen an Nord- und Südpol abbrechen, können sie bis zu viermal so groß sein wie das Saarland, berichtet der 56-Jährige, der seit 2006 den Lehrstuhl für Umweltmeteorologie in Trier innehat. "In der Arktis zeigen sich besonders große Änderungen beim Meereis, also dem Eis, das durch Gefrieren an der Ozeanoberfläche entsteht." Die Ursache: der Klimawandel. "Klimaänderungen zeichnen sich in der Arktis am stärksten ab." So sei das Meereis im Sommer um mehr als 30 Prozent zurückgegangen. Umso wichtiger, diese Prozesse zu erfassen, zu erforschen und die Auswirkungen abzuschätzen, sagt Heinemann. Seit 1996/97 ist er schwerpunktmäßig in der Arktisforschung beschäftigt, betreut dort aktuell zwei Projekte. Schwerpunkte sind in Grönland, das er dreimal besuchte, sowie die Laptewsee nördlich des Lenadeltas in Sibirien. "Wir sind eine der wenigen Wissenschaftlergruppen, die dort arbeiten dürfen, und kooperieren mit russischen Arktisforschern", sagt Heinemann. "In der Laptewsee wird am Rand des Schelfmeeres Meer-eis in offenen oder nur mit dünnem Eis bedeckten Wasserflächen, sogenannten Polynjen, gebildet. Durch den Wind wird es von der Küste weg geweht."An der Kante der Polynjen seien Messstationen eingerichtet, an denen Eiseigenschaften sowie Atmosphäre und Ozean untersucht werden. "Wir arbeiten mit Satelliten. Für die Auswertung dieser Daten ist die Zusammensetzung, die Dichte und der Wassergehalt des Eises wichtig", sagt Heinemann. Dann könne die Verteilung der Eisflächen berechnet werden sowie wo und wie häufig dünnes Eis auftrete.
Heinemann forscht seit rund 30 Jahren in den Polarregionen. Seine Liebe zum Eis hat er eher zufällig entdeckt. "Im Rahmen meiner Promotion war ich 1983 in der Antarktis, im deutschen Forschungsbereich, an der Station Neumayer und im südlichen Weddellmeer." Denn 1981 sei Deutschland dem Antarktisvertrag beigetreten. "Mein damaliger Betreuer hatte einen Forschungsauftrag erhalten und suchte einen Mitarbeiter. Mich hat es sehr gereizt hinzufahren." Bis dahin sei er mit Schnee und Eis wenig vertraut gewesen. "Ich musste mich über alles erkundigen: wie man dort Messstationen baut bis hin zur Kleidung." Nach zwei Besuchen weiß er, in der Kälte zu überleben, und beherrscht die harten Forschungsbedingungen. Seit 2010 ist Heinmann Vorsitzender des deutschen Landesausschusses SCAR (Scientific Committee on Antarctic Research/Wissenschaftliches Komitee für Antarktisforschung) und betreut zwei Projekte in der Antarktis. "Bipolare Forschung ist sinnvoll, weil viele Prozesse vollkommen gleich sind." So seien die Eisbildungsprozesse identisch. "Nur die regionalen Auswirkungen sind unterschiedlich", weiß der Meteorologe. Deshalb sei es interessant, in beide Regionen reinzuschauen. "Es ist eine spannende Frage, wie sich der Klimawandel dort auswirken wird." Der Eisrückgang in den vergangenen 30 Jahren zeige ihn ganz deutlich. "In 40 Jahren wird im Nordmeer das Eis im Sommer ganz weg sein", prognostiziert er. Das habe erhebliche Auswirkungen, etwa auf die Eisbären, die das Eis zum Ausruhen benötigten.
"Eis und Wasser haben einen absoluten Reiz, es sind beeindruckende Gegensätze", sagt Heinmann. "Besonders beeindruckend ist, man ist ganz alleine im Eis. Es ist eine absolute Stille, die man sonst nirgends hat, keine Vögel, keine Büsche. Aber es ist auch gefährlich."
Günther Heinemanns jüngste Expedition führte ihn im Juni 2010 in den Nordwesten Grönlands, nahe des Inuit-Dorfs Qaanaaq. Dort forschte er mit einem Trierer Doktoranden im Rahmen des Projekts Ikapos, um Daten für Klimasimulationen zu erhalten, mit denen die Auswirkungen der Klimaänderung dargestellt werden können. Drei Wochen lang haben die Trierer mit dem Forschungsflugzeug Polar5, einer umgebauten DC-3, Messdaten über Gletscher und Meer erhoben. "Meine Spezialität sind Flugzeugmessungen", sagt Heinemann. "Wir untersuchen die Strukturen der unteren Luftschichten im Bereich Meereis, Ozean und Inlandeis sowie deren Wechselwirkungen mit der Atmosphäre." Ergebnisse werden im kommenden Jahr vorliegen. mehi Passend zu den derzeitigen Temperaturen kommt heute der dritte Teil der TV-Sommerserie zum Thema Eis. Dabei geht es nicht um die Frage Erdbeer oder Schoko, sondern um viele verschiedene Facetten des Themas. Wir besuchen Eiszwerge, suchen nach den exotischsten Eissorten und schauen, was die Kornmarkt-Eislaufbahn im Sommer so treibt ... Im Sommer jeden Dienstag im TV. mic

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