Frieren am Rand der Gesellschaft

TRIER. Man nennt sie Obdachlose und Nichtsesshafte oder benutzt den negativ geprägten Begriff "Penner" – Menschen, die als soziale Randgruppe auf den Straßen leben und nachts in Hauseingängen oder unter Überdachungen ihre Schlafsäcke ausrollen. In Trier sind es 80, und die Kältewelle bringt sie in Gefahr. Der TV sprach mit Betroffenen und mit Institutionen, die Hilfe anbieten.

"An die Kälte gewöhnt man sich nie", sagt Ferdinand. Der 59-Jährige hat "viele Sommer und Winter" auf den Straßen Europas verbracht. "Du musst dich schützen", betont er und demonstriert, was er damit meint: T-Shirt, Hemd, dicke Weste, Jacke Nummer eins, darüber Jacke Nummer zwei. "Und der Schlafsack ist wichtig, der muss was aushalten.""Das ist doch kein Leben"

Wieso landete Ferdinand auf der Straße? Der Senior mit dem verwitterten Gesicht blickt traurig zu Boden. "Da kam vieles zusammen", sagt er schließlich. Frau weg, Beruf weg. "Und ich habe auch zu viel getrunken." Mit der angeblichen Freiheit, die manchen Obdachlosen als Begründung für ihr selbst gewähltes Nomadendasein dient, hat Ferdinand nichts am Hut. "Natürlich will man von der Straße weg, wenn man denn die Mittel dazu hätte. Das ist doch kein Leben, zumindest nicht auf Dauer." Die aktuelle Witterung unterstreicht diese Einstellung. Auch wenn die Nächte in Rheinland-Pfalz nicht so sibirisch kalt werden wie momentan in Russland und Polen, machen zweistellige Minusgrade die Übernachtung auf der Straße zur ernsten Gefahr. "Es ist schlimm im Moment", sagt Stefan. Der junge Mann mit den Piercings im Gesicht und der Totenkopf-Hose könnte Ferdinands Enkel sein. Er meint lakonisch: "Du brauchst halt gute Laune." "Niemand muss in Trier die Nächte auf der Straße verbringen, wenn er es nicht will", sagt Raimund Ackermann. Der ehemalige Verwaltungsangestellte kümmert sich seit Jahren um die Menschen am Rand der Gesellschaft. Als Repräsentant des 1999 gegründeten Vereins "Streetwork" Trier ist es Ackermanns Aufgabe, den 80 registrierten Obdachlosen in Trier bei der Wohnungs- und Jobsuche zu helfen, sie bei Behörden- und Gerichtsterminen zu unterstützen, zur Suchtberatung zu motivieren und generell seelischen Beistand zu leisten. Der Streetworker arbeitet mit den karitativen Verbänden zusammen - deren Angebote stehen im Kurztext "Diese Häuser helfen". Peter Kappenstein, selbstständiger Sozialplaner und "Streetwork"-Vorsitzender, macht sich Sorgen. "Eine neue Generation der Perspektivlosen wächst heran." Toni sei ein typisches Beispiel. Der 19-Jährige hat nach vielen Jahren im Heim weder Job noch Wohnung und schläft zur Zeit in einem Zelt. "Hier müssen wir anpacken." Für Ferdinand hat sich das Anpacken gelohnt: Ackermann hat eine kleine Wohnung für ihn gefunden. "Ich bin selig", sagt der alte Herr.

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