Für Merkel und Schröder – und sich selbst

TRIER. Dass Gerhard Schröder und Angela Merkel derzeit keine freie Minute haben, überrascht wenig – sie wollen schließlich am Sonntagabend als Sieger dastehen. Doch hunderte Bundesbürger opfern in diesen Wochen ihre Freizeit für den Wahlkampf, ohne ein Pöstchen oder einen anderen persönlichen Vorteil im Auge zu haben. Aus Idealismus. Aus Überzeugung. Und auch, weil es Spaß macht. Der TV hat einige von ihnen getroffen.

Alte Wahlkampf-Hasen erkennt man, sobald sie den Mund aufmachen. "Wir kleben die Plakate immer schon am Tag vor dem Aufstellen", erzählt Gilbert Felten, "denn wenn sie nicht ganz trocken sind, rutschen sie beim ersten Regen ab." Der Rentner ist einer von rund zehn CDU-Anhängern, die mit "ihrem" Direktkandidaten Bernhard Kaster vor den Werkstoren von Japan Tobacco International (JTI) in Trier Flugblätter verteilen. Die Schicht hat gerade gewechselt; die Wahlkämpfer drücken den mal mehr und meistens weniger interessierten Beschäftigten ihre Thesen zum Thema "Augenmaß bei der Tabaksteuer" in die Hand. Auch die Jusos, die in den Autoschlangen vor dem Alleencenter für die Politik der SPD werben und gegen die der CDU wettern, stoßen keinesfalls auf ungeteilte Begeisterung. Dabei gibt es zu ihrem Flugblatt eine Wäsche der Windschutzscheibe - "für den klaren Durchblick", wie die Nachwuchs-Roten den auf grünes Licht wartenden Fahrern erklären. Organisiert hat die Aktion Brigitte Schmid. Obwohl die Psychologie-Studentin derzeit im Examen steht, opfert sie dem Wahlkampf fast täglich Zeit. "Ich bin Idealistin", sagt sie. Deshalb engagiere sie sich dafür, "dass es in die Richtung, die ich für die sinnvollste ansehe, weitergeht". Wahlkampf mache Spaß, sie habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. "Ich sehe zum Beispiel die Plakate da hängen und weiß: Ich habe mich eingebracht." Markus Nöhl, Sprecher der Trierer Jusos, hat "zuletzt vier bis fünf Stunden" seiner Freizeit in den Dienst der Partei gestellt. Auch er empfindet sein Engagement als Bereicherung und lobt das Gemeinschaftsgefühl bei den Wahlkampfaktionen. So haben die Jusos zum Beispiel den Gästen des Olewiger Weinfests "reinen Wein eingeschenkt", vor Schulen Stundenpläne mit Infos zur Bildungspolitik verteilt, an Wahlkampfständen mit Passanten diskutiert, Wassereis verteilt und ihren Wahlkreiskandidaten Karl Diller begleitet - unter anderem zu JTI. Die CDU-Wahlkämpfer dort berichten von einem ähnlich umfangreichen Programm: Sie haben an Info-Ständen Wahlkampf-Material unter die Leute gebracht, Flugblätter in Briefkästen verteilt, bei Bernhard Kasters Veranstaltungen wie der Schifffahrt "Die Region in einem Boot" und der "rollenden Weinprobe" geholfen - oder, wie an diesem Tag, den Kandidaten bei Besuchen in seinem Wahlkreis unterstützt. "Ich will, dass Veränderungen in Deutschland stattfinden", begründet Larissa Luchmann ihr Engagement. "Und die Union weist Alternativen auf." Wer sich nicht einsetze, dürfe auch hinterher nicht klagen, sagt die junge Frau. "Es gibt in einer Gesellschaft ja nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten." Nicht nur die Motivation, etwas zu bewegen, eint die Wahlkämpfer. Beide Lager teilen auch eine - angesichts der zurückhaltenden JTI-Arbeiter und Autofahrer am Alleencenter - überraschende Erfahrung: dass man ihnen höflich und vor allem interessiert begegnet. "Die Leute sind unerwartet freundlich", berichtet Juso Markus Nöhl. "Sie haben ein großes Redebedürfnis. Als wir Plakate aufstellten, hielten sogar Autofahrer an, die sich mit uns unterhalten wollten." Auch CDU-Mann Felten hat festgestellt, dass das Interesse, informiert zu werden, größer ist als in der Vergangenheit. Und: "Die Leute sind nicht so aggressiv wie bei früheren Wahlkämpfen." So seien diesmal auch weniger Aufsteller mit Wahlwerbung beschädigt worden als üblich. Woran das liegt? Alte Hasen haben auch da eine Erklärung parat. Gilbert Felten schmunzelt. "Vielleicht wissen die Leute einfach nicht, welche Plakate sie zerstören sollen."

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