Analyse Gedenken an Amokfahrt: Welches Kunstwerk soll an die Tat erinnern – und wo in Trier soll es stehen?

Trier · Drei Trierer Künstler sind beauftragt, Denkmäler zu entwerfen, die an die Trierer Amokfahrt im Dezember 2020 erinnern sollen. Die überlebenden Opfer und ihre Angehörigen sind eng in den Prozess eingebunden – und das ist auch richtig so. Bei der Auswahl des Kunstwerks und der Frage, wo es aufgestellt wird, sollte aber auch die Öffentlichkeit beteiligt werden, meint Volksfreund-Redakteurin Christiane Wolff.

 Bis jetzt erinnert lediglich diese Tafel an die schreckliche Amokfahrt von Trier. Zum zweiten Jahrestag, am 1. Dezember 2022, soll ein Kunstwerk enthüllt werden als weitere Gedenkstätte. Bislang steht allerdings weder fest, wie dieses aussehen, noch, wo es stehen soll.

Bis jetzt erinnert lediglich diese Tafel an die schreckliche Amokfahrt von Trier. Zum zweiten Jahrestag, am 1. Dezember 2022, soll ein Kunstwerk enthüllt werden als weitere Gedenkstätte. Bislang steht allerdings weder fest, wie dieses aussehen, noch, wo es stehen soll.

Foto: Christiane Wolff

Nur rund viereinhalb Minuten dauerte am 1. Dezember 2020 die Amokfahrt durch die Trierer Fußgängerzone. Der Wahnsinnige hinter dem Steuer des Vans tötete fünf Menschen, etliche wurden verletzt. Den Überlebenden und den Angehörigen der Ermordeten hat die unfassbare Tat wohl lebenslanges Leid zugefügt.

Aber auch für die übrige Stadtgemeinschaft ist das schreckliche Ereignis, das aus dem Nichts über Trier kam, ein kollektives Trauma. Die Kreidestriche, mit denen die Polizei unmittelbar nach dem Anschlag die Lage der Toten auf dem Pflaster der Fußgängerzone markiert hatte. Die Altäre aus Kerzen, Teddybären, Trauerkarten und Blumen dort, wo die fünf Menschen starben. Die drückende Stille, die sich über das winterkalte Trier legte. All das hat sich in das Gedächtnis Triers eingebrannt.

In der Frage, wie die Stadt die Katastrophe verarbeiten kann, verfolgte Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe von Anfang an einen klaren Kurs: Maßgeblich ist, wie die überlebenden Opfer und die Angehörigen der Toten mit der Trauer und der Bewältigung des Traumas umgehen wollen. Alle Überlegungen und Entscheidungen – zum Beispiel Zeitpunkt und Gestaltung der offiziellen Gedenkfeier oder wie mit den vielen Spenden umgegangen werden soll – wurden eng mit den direkt Betroffenen abgestimmt. Nicht immer waren dabei alle einer Meinung. Offenbar mit viel Fingerspitzengefühl gelang es der Stadtverwaltung aber, immer einen gemeinsamen Nenner zu finden. Nach außen drang von den Gesprächen bei den Angehörigentreffen jedenfalls wenig.

Nichts über die Köpfe der Opfer und ihrer Familien hinweg zu entscheiden – diese Rücksicht war und ist der sichtbare Ausdruck der inneren Anteilnahme an den Gefühlen der direkt Betroffenen. Doch kann dieser Empathiebeweis auch Grundlage sein für ein Ansinnen, das alle Trierer und Besucher der Stadt für mindestens die nächsten Dutzend, wenn nicht mehr als Hundert Jahre betrifft?

Schon die Entscheidung, dass ein Kunstwerk zum Gedenken an die Opfer der Tat eines offenbar durchgeknallten Einzeltäters aufgestellt werden soll, fiel ohne öffentliche Beteiligung der üblichen Gremien – etwa des Kulturausschusses oder des von den Trierern gewählten Stadtrats. Lediglich den Auftrag an drei Künstler – alle eng mit Trier verbunden, alles Männer weit über 50 –, Entwürfe für eine Gedenkstätte zu entwerfen, legte das Rathaus dem Rat zur Zustimmung vor.

Wo genau der Ort des Gedenkens im Stadtgebiet entstehen soll, dazu machte die Verwaltung den Bildhauern und Skulpteuren keine Vorgaben. Dabei ist das nicht nur eine künstlerische Entscheidung. Sollen an allen Stellen in Brotstraße, am Pranger, auf dem Hauptmarkt und in der Simeonstraße, an denen Menschen starben, Kunstwerke an die Tat erinnern? Oder ein einziges großes an zentraler Stelle? Das sind keine Entscheidungen, die die Künstler alleine in ihren Ateliers treffen sollten. Zumal damit auch ganz praktische Fragen verbunden sind: Durch die Fußgängerzone fließt Lieferverkehr, Durchfahrtsbreiten müssen berücksichtigt werden. Und nicht alle Stellen sind für tiefe Fundamente, wie sie für ein größeres Denkmal nötig wären, geeignet – schon wegen der vielen Versorgungsleitungen, die unter dem Asphalt liegen.

Zuletzt hakte der Volksfreund Mitte Juni bei der Stadtverwaltung nach: Ob die Entscheidung für einen Standort gefallen sei, die im März beauftragten Künstler bereits Entwürfe eingereicht haben und wann das nächste Treffen mit den Angehörigen anberaumt ist, die aussuchen sollen, welches Werk letztlich umgesetzt werden soll. Die magere Antwort der Stadtverwaltung: „Kein kommunizierbarer neuer Stand“.

Dabei war da das jüngste Treffen der Opfer und Angehörigen mit der von der Stadt gegründeten „Stiftung für die Betroffenen des 1. Dezembers 2020“ längst für den Samstag vergangener Woche angesetzt. Bruchstücke dessen, was besprochen wurde, sickerten anschließend durch, offizielle Informationen gibt es nicht.

Wie man hört, sind mehrere Standorte im Rennen – in der Simeonstraße oder vor der Vorderseite der Porta Nigra, also in Richtung Nordstadt. Einer der Künstler kann sich aber offenbar auch vorstellen, ein etwa drei Meter hohes Werk aus abstrakten Metallbändern an der Einmündung der Hosenstraße in die Konstantinstraße aufzustellen. Es gibt auch die Idee, an den Stellen, an denen Menschen gestorben sind, Erinnerungsplatten in den Straßenbelag einzulassen. Auch darüber, ob in diese Platten Motive oder Schriftzüge graviert werden könnten mit Bezug zu den Getöteten – etwa eine Lieblingspflanze oder ein Lieblingstier – wurde gesprochen. Zur Diskussion stand auch, ob für ein größeres Mahnmal auch ein Standort außerhalb der Fußgängerzone infrage kommt, etwa in einem Park oder einer Grünanlage. Dem Vernehmen nach tendieren die Opfer und Angehörigen allerdings eher zu einem zentralen, auffälligen Standort. Entschieden ist bislang nichts.

Wohin die Diskussion über den richtigen Platz für einen Gedenkort führen kann, zeigt sich an der hessischen Kleinstadt Hanau. Dort hatte ein Attentäter am 19. Februar 2020 innerhalb von sechs Minuten neun Menschen erschossen. Anders als in Trier waren es keine zufälligen Opfer, der Täter mordete aus rassistischen Gründen – alle Getöteten hatten einen Migrationshintergrund. Die Hanauer Stadtgemeinschaft positionierte sich im Anschluss klar gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

Nur wenige Monate nach der Tat schrieb die Stadt den Auftrag, ein Kunstwerk zum Gedenken an die Tat zu entwerfen, öffentlich und europaweit aus. 118 Bewerbungen gingen ein, wie die Wochenzeitung Die Zeit berichtet, der die Stadt Hanau ermöglicht hatte, das Verfahren journalistisch zu begleiten.

Aus den eingereichten Bewerbungen wählte eine Fachjury zwölf aus, die den Familien der Hanauer Opfer vorgelegt wurden. Die Angehörigen reduzierten die Auswahl zunächst auf acht und einigten sich bei einem weiteren Treffen auf einen Lieblingsentwurf. Bei diesem sollen die Namen aller Opfer in großen Metallbuchstaben halbkreisförmig übereinander montiert werden. Fünf Meter hoch hat der Künstler das Gebilde geplant.

Auch die übrigen Hanauer Bürger durften abstimmen und votierten mehrheitlich ebenfalls für die Namenssäule. So weit, so gut – doch gebaut wurde das Mahnmal, das eigentlich am zweiten Jahrestag des Attentats im Februar 2022 stehen sollte, bislang nicht. Denn Angehörige, Stadtverwaltung und die übrigen Hanauer Bürger haben sich bis jetzt nicht auf einen Standort einigen können. Die Familien der Opfer wünschen sich, dass das Monument auf dem zentralen Hanauer Marktplatz aufgestellt wird. Dort, wo auch das Denkmal der Gebrüder Grimm steht, als deren Heimatstadt Hanau bislang bekannt war. In der Stadt regten sich gegen diese zentrale Stelle allerdings Widerstände. In der Ratssitzung, in der über den Standort letztlich entschieden werden sollte, schlugen sich die Widerstände der Bürgerschaft in den politischen Entscheidungen nieder. Laut einem Bericht der Zeit sprachen sich CDU, SPD, die rechtsradikalen Republikaner und eine freie Wählergemeinschaft gegen den Marktplatz aus, die Grünen legten sich nicht fest, die FDP enthielt sich der Abstimmung und nur die Linke stimmte den Familien der Opfer zu. Die Angehörigen reagierten enttäuscht. Bei ihrem Wunsch, das Mahnmal auf dem Marktplatz aufzustellen, rückten sie nicht ab. Seitdem liegt die Sache auf Eis. Der zweite Jahrestag des Hanauer Anschlags ist mittlerweile knapp vier Monate vorbei.

Auch in Trier wurde versäumt, frühzeitig die Standortfrage zu klären. Passt die Gedenkstätte mitten in die rummelige und teils enge Fußgängerzone, oder ist ein ruhiger Ort besser, an dem ein stilles Gedenken möglich wäre, der aber dafür eventuell etwas abgelegener ist? Und spiegeln sich Anteilnahme und Nicht-Vergessen wirklich in der Größe eines Denkmals? Freilich: Das sind keine Fragen, die mit allen 100.000 Trierern ausdiskutiert werden können. Aber eine Beteiligung der Bürger etwa darüber, dass sich der Stadtrat in öffentlicher Sitzung mit dem Thema beschäftigt oder auch eine Ausstellung, bei der die Entwürfe der Künstler gezeigt werden, könnten dabei helfen, dass der Umgang und die Aufarbeitung der Trierer Amokfahrt weiterhin in ruhigen und würdigen Bahnen bleibt.

Bis zum zweiten Jahrestag der Katastrophe ist es nur noch ziemlich genau ein halbes Jahr. Nicht viel Zeit, um alle Entscheidungen in Ruhe öffentlich zu besprechen, zu fällen und anschließend auch noch das Mahnmal samt Vorarbeiten errichten zu können. Die Trierer Stadtverwaltung täte gut daran, den Druck aus der aktuellen sensiblen Phase der Standortwahl herauszunehmen, den zweiten Jahrestag als Fixum aufzugeben und das Verfahren einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

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