Geldbuße statt Vorstrafe für Unfallfahrer

Trier/Farschweiler · Der Berufungsprozess um den Unfalltod einer 17-Jährigen Schülerin auf der B 52 bei Farschweiler (Kreis-Trier-Saarburg) ist abgeschlossen. Die Zweite Kleine Strafkammer des Landgerichts Trier stellte gestern das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße ein. Der 40-jährige Angeklagte hatte im November 2008 auf der B 52 die junge Fußgängerin mit seinem Auto erfasst.

Der Unfallort: die B 52 oberhalb von Farschweiler bei Tageslicht. TV-Foto: Friedhelm Knopp

Der Unfallort: die B 52 oberhalb von Farschweiler bei Tageslicht. TV-Foto: Friedhelm Knopp

Die Haltestelle "Sternfeld" an der B 52 oberhalb von Farschweiler war am 21. November 2008 schon in Dunkelheit gehüllt. Die Schülerin Nadine B. verließ dort kurz vor 18 Uhr den Bus aus Trier und wollte danach die Bundesstraße zur Abfahrt nach Farschweiler hin überqueren. Dabei erfasste sie der aus Richtung Hermeskeil kommende Wagen des Angeklagten und verletzte sie tödlich.

Im November 2009 verurteilte das Amtsgericht Trier den Unfallfahrer zu 10 800 Euro Geldstrafe, wogegen dieser vor dem Landgericht Trier Berufung einlegte.

Entscheidungen gründen nur auf Gutachten



Unmittelbare Augenzeugen des Unfallhergangs gibt es nicht. Der Angeklagte selbst kann sich nur noch an einen dunklen Schatten erinnern, dann habe es einen Schlag gegeben. Alleinige Grundlage des ersten Urteils war daher das Gutachten eines technischen Sachverständigen, der das Unfallgeschehen vom Abend des 21. November 2008 untersucht hatte. Danach soll der damals 39 Jahre alte Elektronik-Spezialist mit etwa 110 Stundenkilometern in den zu dieser Zeit noch unbeleuchteten Haltestellenbereich auf der B 52 hineingefahren sein, wobei er in Höhe der Abfahrt Farschweiler die Fußgängerin erfasste. Der Gutachter kam zu dem Schluss, dass der Angeklagte den Unfall hätte vermieden können, hätte er sich an die dort erlaubten Tempo 70 gehalten.

Ein anderes Ergebnis präsentierte im Berufungsverfahren ein zweiter Gutachter: Nach seinem Ergebnis soll sich der Angeklagte mit etwa 85 Stundenkilometern der Bushaltestelle genähert haben. Allerdings hätte sich nach dieser Expertenmeinung der Unfall wegen der damals herrschenden Licht- und Wetterverhältnisse auch nicht mit Tempo 70 vermeiden lassen - zumal niemand das Verhalten des Unfallopfers beim Überqueren der Straße beobachtet habe.

Keine neuen Erkenntnisse brachte auch der einzige noch in Frage kommende Zeuge, den die Berufungskammer gestern anhörte. Auch er war erst nach dem Unfall am Ort des Geschehens eingetroffen. Ein potenzieller dritter Zeuge, der sich noch um das Opfer gekümmert haben soll, blieb den ermittelnden Polizeibeamten im allgemeinen Durcheinander an der Unfallstelle verborgen. Er konnte nie ermittelt werden.

Die Frage nach der Vermeidbarkeit



So stand die Kammer unter dem Vorsitzenden Peter Egnolff vor der Frage, wie hoch das Verschulden noch anzusetzen sei. Zwar ging das Gericht weiter davon aus, dass der Fahrer mit mehr als 70 Stundenkilometern unterwegs war. Der Nachweis, dass er den Unfall durch mehr Sorgfalt - sprich durch geringeres Tempo - hätte vermeiden können, ließ sich jedoch nicht erbringen.

Nach einstündiger Verhandlung schlug Vorsitzender Egnolff daher die Einstellung des Verfahrens gegen 10 000 Euro Geldbuße und Übernahme der Nebenklägerkosten vor. Der Angeklagte und Verteidiger Friedemann Ulbrich stimmten zu. Oberstaatsanwalt Thomas Albrecht auch. "Dies fällt schwer, mit Blick auf die Eltern des Opfers. Aber man kann sich der Argumentation des zweiten Gutachters nicht verschließen", sagte Albrecht. Alle Zweifel an einem hohen Verschulden des Angeklagten müssten sich zu seinen Gunsten auswirken - dies sei ein Rechtsgrundsatz.

"Meine Mandanten, die Eltern des Verkehrsopfers, erleben soeben ihre zweite Tragödie", erklärte der Nebenklagevertreter Anton Jakobs.

Dann leerte sich der Gerichtssaal - zurück blieben die total erschütterten Eltern von Nadine B. und einige Bekannte, die vergebens versuchten zu trösten.

Meinung

Rechtsstaat und Rechtsgefühl

Diese Nachmittagsstunde gestern im Landgericht Trier war einer jener Momente, bei dem juristische Laien beginnen, an unserem Rechtsstaat zu zweifeln. Und dies, weil gerade nach rechtsstaatlichem Prinzip verfahren wurde. Ein Mann, der bei Dunkelheit zu schnell in einen Haltestellenbereich fährt und einen Menschen tötet, erhält vom Amtsgericht ein Strafurteil wegen fahrlässiger Tötung und legt Berufung ein. Im Berufungsverfahren mutiert die Straftat zum Verkehrsvergehen, weil nach einem zweiten Gutachten Zweifel bestehen, ob der Unfall vom Angeklagten hätte vermieden werden können: Geldbuße statt eines Strafurteils und Eintrags ins Strafregister. Für die Eltern des Opfers wird diese Entscheidung zur zweiten Tragödie ihres Lebens. Doch dafür leben wir in einem Rechtsstaat, der im Zweifel für den Angeklagten urteilt. Ein verfassungsmäßiges Prinzip, das der Willkürjustiz einen Riegel vorschiebt. Die Kehrseite können so extreme Konsequenzen wie gestern im Landgericht sein. Konsequenzen, die Betroffene in ihrem Schmerz nie verstehen werden. f.knopp@volksfreund.de

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