Gemeinsam aus der Einsamkeit

TRIER. (bru) Zwei Trierer Therapeutinnen haben sich entschlossen, ihren Patienten ein neues Angebot zu machen: Sie wollen eine Selbsthilfegruppe für Aphasiker – für Menschen, die sprachgestört sind – und deren Angehörige ins Leben rufen.

"Manchmal bekomme ich mit", sagt Logopädin Marlene Scheid, "dass Patienten oder deren Angehörige noch im Wartezimmer sitzen, sich unterhalten und gegenseitig Tipps geben, lange nachdem der Termin vorbei ist, wenn wir eigentlich zumachen wollen." Der Bedarf an Austausch über die Behandlung hinaus ist offensichtlich sehr hoch. Doch in ganz Rheinland-Pfalz gibt es nur 15 Aphasie-Selbsthilfegruppen, in Trier gar keine. Warum nicht eine ins Leben rufen, dachte sich Scheid. In der Diplom-Sprachheilpädagogin Dorothea Valerius fand sie eine interessierte Mitstreiterin. "Unsere Arbeitsgebiete überschneiden sich", sagt Valerius, "die Probleme unserer Patienten ebenso." Kaum war die Idee geboren, gingen die beiden Therapeutinnen direkt zur Tat über: Sie vereinbarten mit dem Elisabeth-Krankenhaus, dortige Seminarräume nutzen zu können.Aphasie ist kein Intelligenzverlust

Aphasie ist der teilweise oder ganze Verlust der Sprache. Meist ist sie eine Folge von Schlaganfällen, aber auch Unfälle oder ein Trauma können dies bewirken. "Und unsere Patienten werden immer jünger. Schlaganfälle ab 40 - das ist heute normal", sagt Scheid. Die Erscheinungen der Aphasie sind sehr unterschiedlich. "Bei leichten Formen ist es oft nur so, dass der Patient immer wieder nach einzelnen Wörtern sucht, die ihm partout nicht einfallen wollen", erklärt Valerius. "Doch bei schweren Fällen kann es so weit gehen, dass der Patient gar nicht mehr sprechen kann und im schlimmsten Fall auch nichts mehr verstehen." Der häufigste Fall der Aphasie sei jedoch, dass die Aphasiker komplett die Fähigkeit zum Sprechen verlören, aber alle ihre kognitiven Fähigkeiten behielten, fügt Scheid hinzu. Aphasie ist kein Intelligenzverlust. Das heißt, der Patient bekommt alles um ihn herum mit, jedes Wort, jede Bewegung, er hat seine eigene Meinung dazu - kann sich aber nicht mehr mitteilen. "Die Behandlungsmethoden heute sind schon sehr gut, und auch die Unterstützung der Kassen ist nicht schlecht. Wir helfen, dass die Menschen wieder in Kontakt mit der Welt treten können. Doch das geht nicht so schnell", sagt Scheid. Da baue sich ein "wahnsinniger Leidensdruck" auf. "Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich zu nichts mehr äußern!" Meist werde der Betroffene arbeitslos. In den Familien seien plötzlich die Rollen vertauscht: "Gestern war der Vater noch der Ernährer der Familie - heute muss er von seiner Frau genauso umsorgt werden wie die eigenen Kinder." "Das geht noch weiter", wirft Valerius ein. "Es gibt Patienten, die ständig umsorgt sein wollen; es gibt welche, die genau das ablehnen. Auch auf die Angehörigen kommt damit ein enormer Druck zu Stande." Und dann komme noch ein richtiger Rattenschwanz an Fragen und Problemen: Wer kümmert sich wann, wo und wie um den Patienten? Was passiert mit dem Führerschein? Welche Versicherungen springen ein? "Das geht über unsere Arbeit als Therapeuten weit hinaus. Doch Selbsthilfegruppen werden von Sekis (Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle, Anm. d. Red.) unterstützt", erzählt Valerius. "Das haben wir auch erst im Lauf der Vorbereitungen erfahren. Damit kann man dann Referenten einladen - zum Beispiel zu juristischen Fragen." Bedarf in Trier dürfte vorhanden sein, sagen beide Therapeutinnen. "Möglicherweise müssen manche erst eine Hemmschwelle überwinden, um sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Aber wir glauben sogar, dass es auf Dauer mehrere Gruppen geben könnte: vielleicht in zwei Altersgruppen und eventuell reine Patienten- oder reine Angehörigengruppen, die sich dann nur bei Referaten gemeinsam treffen." Die beiden Frauen sind Feuer und Flamme für ihre Idee, obwohl sie die ganze Arbeit neben ihrem Beruf ehrenamtlich bewältigen müssen. "Es geht uns darum, unseren Patienten über die bezahlte Therapie hinaus zu helfen - und auch deren Angehörigen, die genauso betroffen sind und ebenso Unterstützung brauchen." Informationen: Marlene Scheid, Telefon 0651/76884, oder Dorothea Valerius, Telefon 0651/ 9944826.

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