Gespräche mit dem Todfeind

MARIAHOF. Der Körper von schwerer Krankheit geschwächt, der Geist hellwach: Der ehemalige Erste Bürgermeister Paul Kreutzer (76) will noch ein Wunschziel erreichen - die Realisierung eines jüdischen Museums in der Judengasse.

Es sollte ein Artikel à la "Was macht eigentlich der unverwüstliche Paul Kreutzer?" werden. Ehefrau Annemarie wehrt erst einmal ab. "Meinem Mann geht es im Moment nicht so gut", sagt sie dem ahnungslos anrufenden TV -Redakteur. Paul Kreutzer entscheidet anders: "Er soll vorbeikommen." Kreutzer, von schwerer Krankheit gezeichnet, empfängt den Besuch im Schlafzimmer und bittet lächelnd um Verständnis: "Wenn ich liegen bleibe, habe ich mehr Kraft zum Erzählen." Zu erzählen hat der prominente Mariahofer eine ganze Menge. Zuerst über seinen Stadtteil, an dessen Entstehung er kräftig mitgewirkt hat. Es war am 1. Januar 1959, als OB Heinrich Raskin, gbt-Chef Richard Moog und Kreutzer, damals Wohnungsdezernent, Bundesbauminister Paul Lücke in dessen Wohnort Engelskirchen auf die Pelle rückten. Die Mission der Trierer Delegation: Bonn für die Lösung der Elendsquartier-Problematik gewinnen. "1000 Familien lebten in Bunkern, Baracken, Ruinen und Kasernen, vor allem der Hornkaserne." Raskin gelang es, binnen weniger Wochen das geforderte großflächige Bauland zu organisieren, indem die Stadt der Familie von Nell zu günstigen Konditionen die Ländereien des Hofguts Maria abkaufte. Lücke legte mit ein städteplanerisch-bautechnisches Demonstrativprogramm auf. Der Rest ist Geschichte: Im neuen Gartenstadtteil fanden binnen weniger Jahre 4700 Menschen ein preisgünstiges neues Zuhause in Mietwohnungen und mittelständischem Eigentum. Auch die Kreutzers bauten auf Mariahof: "Meine Frau, ich und unsere sechs Kinder haben uns hier immer wohl gefühlt." Der Wunsch des bundesweit anerkannten langjährigen Sozialdezernenten und Bürgermeisters (1977 bis 1987), "in Frieden und Gesundheit älter zu werden", ging in Erfüllung. Bis ihn im vergangenen Herbst ohne Vorwarnung Dickdarmkrebs befiel. Eine fünfstündige Operation rettete ihm das Leben, Chemotherapie lehnt er ab. Sein Schicksal trägt der 76-Jährige mit bemerkenswerter Fassung: "Ich habe in meinem Leben so viele unschuldige krebskranke Kinder und Jugendliche gesehen und keinen Grund, undankbar zu sein. Ich durfte nie hoffen, so alt zu werden." Dennoch kämpft Kreutzer: "Ich spreche mit dem Krebs. Ich sage ihm: Du lebst nur so lange wie ich. Wenn du stärker bist als ich, stirbst du auch." Kreutzer hat noch viel vor: "Ich würde gerne erleben, dass in der Judengasse ein Adolf-Altmann-Haus entsteht. Für diese jüdische Museum und internationales Begegnungszentrum setzt sich Kreutzer, der 1970 die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gründete, seit langem ein. Die Umsetzung des Projekts, an dem auch Professor Alfred Haverkamp mitwirkt, scheiterte bislang am fehlenden Geld. "Sie können auch schreiben, dass bald mein Buch mit Weingedichten erscheinen soll", lacht der Poesie-Spätstarter; "Ich wüsste gerne, was das Publikum davon hält." Nach 70-minütigem Gespräch wird Kreutzer müde. Er muss seine Kräfte schonen: Enkel Nummer neun kommt im April auf die Welt. "Den will ich unbedingt sehen."

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