Getrennt statt gemeinsam lernen

Trier · Die gemeinsame Orientierungsstufe (GOS) am Schulzentrum Ehrang ist wohl passé: CDU, SPD, FWG und FDP haben beschlossen, dass die Kinder der Realschule plus und des G8-Gymnasiums künftig bereits ab Klasse fünf getrennt unterrichtet werden.

Trier. Die Zukunft der gemeinsamen Orientierungsstufe (GOS, siehe Extra) am Schulzentrum Mäusheckerweg war das emotionalste Thema in der Stadtratssitzung am Dienstagabend. Weiter als die von Grünen und der FDP konnten die Standpunkte dabei nicht auseinanderliegen: "Es gibt keinen pädagogischen Grund für die Auflösung der GOS", erklärte Gerd Dahm von den Grünen. "Nicht alle Schüler sind gleich, sondern haben unterschiedliche Ansprüche - die GOS muss sofort aufgelöst werden", forderte dagegen Joachim Gilles (FDP).
Hintergrund des Meinungsstreits: Bei der Verschmelzung von Realschule und Hauptschule zur Realschule plus wurde diese neue Schulform zur sogenannten Schwerpunktschule, die auch Kinder mit Lern- und anderen Behinderungen aufnimmt. "Diejenigen, die eine Auflösung der GOS fordern, sagen nur durch die Blume, worum es ihnen eigentlich geht, nämlich darum, dass das Gymnasium sich nicht um die Inklusion dieser Förderschüler kümmern will. Aber so geht es nicht! Alle Schularten sind zur Integration verpflichtet!", schimpfte Dahm.
CDU und SPD begründeten ihr Votum für die Auflösung der GOS hauptsächlich damit, dass die zurückgehenden Anmeldezahlen zeigten, dass die Eltern die GOS nicht mehr wollten und durch die sinkenden Schülerzahlen der Fortbestand beider Schulen gefährdet sei. Doch auch darauf hatte Dahm eine Antwort parat: "Die Schülerzahlen gehen nicht zurück, weil die Eltern die GOS nicht wollen." Bis zur Umwandlung des Friedrich-Spee-Gymnasiums in ein G8-Gymnasium, an dem bereits nach dem 12. Schuljahr das Abitur abgelegt werden kann, wurden Kinder, die an den anderen überfüllten Gymnasien der Stadt keinen Platz mehr erhalten haben, an das FSG verwiesen. "30 Prozent der Schüler sind so ans FSG gelenkt worden", sagte Dahm. Mit der Umwandlung zum G8-Gymnasium ist es rechtlich nicht mehr möglich, Schüler, die ein normales Gymnasium mit 13 Schuljahren besuchen wollen, an das FSG zu verweisen. "Und deswegen sind die Schülerzahlen gesunken", erklärte Dahm.
Der Stadtvorstand - Oberbürgermeister Jensen und seine drei Dezernenten - plädierten für den Erhalt der GOS. Um Schwierigkeiten und den erhöhten Aufwand beim gemeinsamen Unterrichten von Kindern aller Leistungsstufen auszugleichen, wollte der Stadtvorstand beim Mainzer Schulministerium auf mehr Unterstützung drängen - etwa durch zusätzliche Lehrer. Der neuen GOS aus Gymnasium und Schwerpunktschule fehle es noch an "Routine, dem Willen zur Zusammenarbeit und Zeit, um zu wachsen", argumentierte Schuldezernentin Birk (Grüne) in ihrer Beschlussvorlage und bat auch die Lehrer um Unterstützung, die GOS dauerhaft zu etablieren.
Mit ihrem Wunsch, die GOS zu erhalten, standen Stadtvorstand, die Lehrer der Realschule plus und die Fraktionen der Grünen und der Linken allerdings alleine da: Die Stadtratsmehrheit aus CDU, SPD, FWG und FDP stimmte für die Auflösung der GOS, wie zuvor schon der städtische Schulträgerausschuss (der TV berichtete).
Auch Louis-Philipp Lang, Vorsitzender des Trierer Jugendparlaments, hatte sich in der Stadtratssitzung für die Auflösung der GOS ausgesprochen: "Wenn Sie diese Entscheidung jetzt nicht treffen, dann werden die Schulen auch im nächsten Jahr keinen Zulauf haben", appellierte der 17-jährige Schüler des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums an den Rat.Meinung

Nur vermeintliche Eliteförderung
Das Argument, Eltern wollten die gemeinsame Orientierungsstufe (GOS) in Ehrang nicht, ist vorgeschoben. Schließlich gibt es am Schweicher Schulzentrum eine Orientierungsstufe gleichen Strickmusters - die riesigen Zulauf hat. Hinter der Auflösung der GOS in Ehrang steckt vermeintliche Eliteförderung: Gymnasialkinder sollen beim Lernfortschritt nicht behindert werden von Kindern, die langsamer lernen. Unsinn ist das nicht nur wegen des grundfalschen Gedankens, dass Bildung bedeute, möglichst viel Wissen in möglichst kurzer Zeit abzuspeichern - sondern zum Beispiel auch soziale und charakterliche Kompetenz. Dass Elite gefördert wird, ist trotzdem richtig - und passiert auch, zum Beispiel durch die kostenlosen Studienplätze im Land. Eliteförderung darf aber nicht bedeuten, dass Kinder, die ohnehin schon nicht das Glück haben, von der Natur mit großen kognitiven Fähigkeiten beschenkt zu sein, oder die in einem Elternhaus geboren wurden, das dem höchstmöglichen Schulabschluss weniger Bedeutung beimisst, benachteiligt und früh aussortiert werden. c.wolff@volksfreund.deExtra

Eine Orientierungsstufe ist so etwas wie eine verlängerte Grundschulzeit: Kinder, die am Schulzentrum Mäusheckerweg für die Realschule plus oder das Friedrich-Spee-Gymnasium angemeldet sind, werden in der fünften und sechsten Klasse gemeinsam unterrichtet. Ab Klasse sieben trennen sich Gymnasial- und Realschulzweig. Bis zur Verschmelzung der ehemaligen Real- und Hauptschule zur Realschule plus im Jahr 2011 lief die GOS gut. Seitdem sind die Anmeldezahlen eingebrochen (der TV berichtete). woc

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