Weihnachtsmarkt Gleiche Gefühle, andere Tradition

Trier · Warum Puppen auf dem Trierer Weihnachtsmarkt an eine Kinderserie im irakischen Fernsehen erinnern, und was eine Orgel mit einem syrischen Geschichtenerzähler zu tun hat: Zwei Araber erkunden den Trierer Weihnachtsmarkt.

Ayad ist unter die Musikanten gegangen: Er kurbelt fleißig an der Drehorgel.

Ayad ist unter die Musikanten gegangen: Er kurbelt fleißig an der Drehorgel.

Foto: TV/Nathalie Hartl

Aus ihrer Heimat im Irak und in Syrien kennen Ayad und Jamal keine Weihnachtsmärkte. Nun haben sich die beiden Volksfreund-Newscomer auf einen der schönsten Deutschlands begeben.

Schon die Begrüßung auf dem Trierer Weihnachtsmarkt ist herzlich. Glühweinkönigin Sarah Schmitt und Thomas Vatheuer, Marktorganisator und Sprecher, heißen uns auf dem Markt willkommen. Der Dom umarmt die Holzhäuschen und die Leute des Weihnachtsmarkts wie eine liebvolle Mutter. Glühweinkönigin Schmitt lächelt nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit den Augen. Ihre Worte zur Begrüßung sind warm wie Glühwein. Sie ist so schön, dass man sie porträtieren möchte. Thomas Vatheuer erzählt uns vom historischen Hintergrund des Marktes, dem Essen, den traditionellen Getränken – Glühwein und Viez – und den verkauften Handwerksprodukten. „95 Hütten stehen auf dem Weihnachtsmarkt in Trier“, sagt der Organisator. Er benutzt einfache Wörter und einfache Sätze, wahrscheinlich, damit wir ihn besser verstehen. Dank seiner gastlichen Art und seinem Lächeln fühlen wir uns sofort willkommen.

Manch einer findet die Puppen in ihren Glaskästen gruselig. Ayad fasziniert die Märchenwelt.

Manch einer findet die Puppen in ihren Glaskästen gruselig. Ayad fasziniert die Märchenwelt.

Foto: TV/Nathalie Hartl

Hier pulsiert das Leben Die Holzhäuschen sind ordentlich nebeneinander aufgereiht wie auf einer Perlenkette. Sie sind nach dem Geschmack ihrer Inhaber romantisch verziert und festlich dekoriert. Die Fassadenlichter flirten mit den Augen der Besucher. Engel, Tiere, Kugeln, Kerzen, Gläser, Vögel, Figuren, Spielzeuge, Tannenbäume und mehr aus buntem Glas, braunem Holz und Keramik locken die Besucher. Gerüche von Gebäck, Reibekuchen, Schokolade, Bratwürsten, Glühwein und Gewürzen liegen in der Luft und machen schon Appetit.

Auf Einladung von Glühweinkönigin Schmitt testet Jamal den Trierer Reibekuchen. Auch in Syrien gibt es eine ähnliche Speise, Adscha (geriebene Kartoffeln mit Ei, Zwiebeln und Petersilie, gebraten in Maisöl. Es schmeckt ähnlich wie der deutsche Reibekuchen, nur die Zwiebel macht den Unterschied. Auch für die krapfenähnlichen Churros, die Jamal testet, gibt es eine syrische Entsprechung, M’schabak. Diese Spezialität wird in Schneckenform gebacken, mit Jasminblüten- oder Rosenwasser aromatisiert und mit Zucker glasiert.

Kritisch beäugt Jamal die Reibekuchen, die ihm Weinkönigin Sarah Schmitt (im Hintergrund) spendiert hat.

Kritisch beäugt Jamal die Reibekuchen, die ihm Weinkönigin Sarah Schmitt (im Hintergrund) spendiert hat.

Foto: TV/Nathalie Hartl

Auf dem Weihnachtsmarkt spielt eine Symphonie des Lebens: Die Kinder sitzen auf dem Karussell. Und die Frauen, deren Schönheit die schweren Winterkleider nicht verbergen können, lachen musikalisch.

Die Männer unterhalten sich heiter, mit ihren Lippen küssen sie die Glühweintassen.

„Fotografiert, was fasziniert!“ Die Glühweinkönigin lädt uns zum Trinken ein. Jamal trinkt Punsch ohne Alkohol. Für ihn ist es ungewohnt, heißen Saft zu trinken. Das säuerliche Getränk schmeckt ihm aber.

Ich, Ayad, hingegen würde lügen, wenn er sagen würde, dass ich den leckeren Glühwein nicht probiert habe. Nach dem Trunk ist mir warm. Unsere Tandempartner David und Nathalie drücken uns ihre Kameras in die Hände. „Fotografiert, was euch auffällt“, sagen sie. Vor Ungeduld trommle ich mit den Fingern auf dem Apparat. Wir wissen gar nicht, wo wir anfangen sollen. Meine Kamera lichtet alles ab: Buden, Menschen, Lichter. Nur die Polizisten lassen wir aus. Die stehen überall und schützen die Leute vor den Leuten. Beschützen sie uns vor anderen oder die anderen vor Leuten wie uns?

Deutsch-Irakische Puppenkiste Mein Blick fällt auf einen Puppenladen. Die meisten Figuren sind mir bekannt und erinnern mich an meine Kindheit im Irak. Die Augsburger Puppenkiste kennt man auch dort. Mitte der achtziger Jahre wurde die Serie „Bilbo und seine Bande“ auf dem Sender Bagdad-TV gezeigt. Die Inhaberin des Stands fotografierte mich mit der Puppe, als ob sie wüsste, was ich denke und als ob sie meine Erinnerung kennen würde. Die Puppenkiste ist noch da, aber unsere Kindheit hat der Krieg gestohlen.

Ayad und die Orgelkiste Ein ruhiger Rhythmus und eine schöne Melodie kommen aus der Drehorgel. Der Mann an der Kiste winkt uns heran, als er unsere Neugier bemerkt. Er lässt uns spielen. In den Dörfern in Syrien haben wir etwas ähnliches, eine sogenannte Wunderkiste. Sie heißt Sanduk Al-agaib und ist bei Kindern sehr beliebt. Die Kinder schlüpfen unter einen dunklen Stoff und schauen durch eine Lupe verschiedene Bilder an, die der Schausteller mit einer Kurbel bewegt. Dazu erzählt er eine Geschichte. Mir ist in diesem Moment, als ob ich den Weihnachtsmarkt durch so eine Wunderkiste betrachten würde. Dazu höre ich die Stimme eines Erzählers in meinem Kopf. Der Markt weckt in mir viele Erinnerungen.

Die vielen Leckereien haben es den beiden Kolumnisten besonders angetan.

Die vielen Leckereien haben es den beiden Kolumnisten besonders angetan.

Foto: TV/Ayad Lateef
 Diesen Stand hat Ayad fotografiert, weil im Hintergrund ein Portrait von Mahatma Gandhi hängt. Der Kolumnist schätzt den Friedenskämpfer sehr.

Diesen Stand hat Ayad fotografiert, weil im Hintergrund ein Portrait von Mahatma Gandhi hängt. Der Kolumnist schätzt den Friedenskämpfer sehr.

Foto: TV/Ayad Lateef

Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Wir gehen in der Hoffnung, dass man eines Tages unsere Erlebnisse auf dem Trierer Weihnachtsmarkt in einer Wunderkiste im Orient weitererzählt.

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