Deutsche Geschichte Häftling 6222: Der fast vergessene Held

Trier/Weimar · Vor 75 Jahren, am 11. April 1945, übernahmen die Häftlinge das Kommando im KZ Buchenwald. Dabei spielte der Trierer Hans Eiden als Lagerältester eine bedeutende Rolle.

 Gedenktafel für Hans Eiden an der Stelle seines Geburtshauses in der Trierer Engelstraße.

Gedenktafel für Hans Eiden an der Stelle seines Geburtshauses in der Trierer Engelstraße.

Foto: Roland Morgen

11. April 1945 – kein Tag wie fast alle anderen im Konzentrationslager (KZ) Buchenwald. Der allgegenwärtige Terror bröckelt. Amerikanische Panzereinheiten sind an jenem Mittwoch nur noch wenige Kilometer entfernt, die SS (Hitlers „Schutzstaffel“), die das Lager betrieben und zehntausende Inhaftierte ermordet hat, bereitet ihre Flucht vor. Um die Mittagszeit haben sich die Kommandantur und die Besatzungen der Wachttürme großteils abgesetzt.

Nun schlägt die große Stunde von Hans Eiden. Der Trierer Kommunist, seit 1939 in Buchenwald gefangen und seit 1944 Chef der häftlingsinternen Verwaltung (Lagerältester), übernimmt das Kommando. Gegen 15 Uhr hisst er die weiße Fahne und verkündet per Lautsprecherdurchsage: „Kameraden, wir sind frei!“

Tatsächlich aber dauert es noch eine Stunde, bis Widerstandsgruppen die komplette Kontrolle über das Lager übernommen und 76 Gefangene gemacht haben. Um 17.10 Uhr betreten erste US-Soldaten das von den Insassen selbst befreite Lager. Zwei Tage später bestätigen die Amerikaner Eiden als Lagerältesten. Sein Job ist es nun, die Rückkehr der 21 000 verbliebenen Häftlinge in ihre Heimat zu organisieren. Schwer, aber ungleich leichter als das, was er vorher hat tun müssen.

Gegenüber der SS war Eiden für alle Vorgänge im Lager verantwortlich. Mit taktischem und rhetorischem Geschick gelang es ihm, Mithäftlinge zu schützen, ohne die Lagerleitung zu provozieren. Eine Gratwanderung, die am 4. April 1945 zur Zerreißprobe wurde. Die SS wollte alle im Lager befindlichen Juden evakuieren, also auf sogenannte Todesmärsche in andere KZ schicken. Auf Befehl des kommunistischen Widerstands erschien zum angeordneten Zeitpunkt keiner der 3000 Juden auf dem Appellplatz.

Eiden war es, der diese unerhörte und erstmalig offene Befehlsverweigerung geschickt rechtfertigte und so einen wertvollen Tag gewann, an dem die Betroffenen versteckt wurden. Auch am 5. April blieb der Appellplatz leer, was die SS leicht zu einem Blutbad hätte veranlassen können. Doch wieder setzte sich Eiden durch.

„Er spielte mit der Angst des Kommandanten Hermann Pister vor den anrückenden amerikanischen Truppen und forderte ihn immer wieder erfolgreich zur Mäßigung gegenüber den Häftlingen auf“, sagt die Historikerin Beate Dorfey, die 1995 im Auftrag der Stadt Trier ein Gutachten über den Häftling „Nummer 6222 aus Block 34“ erstellt hat. Demnach attestieren Mithäftlinge dem Lagerältesten eine zurückhaltende und überlegende Art. Insbesondere Juden bestätigten den Einsatz Eidens für sie, die Schwächsten.

Ende Mai 1945 kehrte Eiden, der fast die komplette Zeit der zwölfjährigen Nazi-Diktatur inhaftiert gewesen war, in seine Heimatstadt zurück. Er engagierte sich im kommunalen Beirat und im ersten rheinland-pfälzischen Landtag. Am 6. Dezember 1950, zwei Wochen nach seinem 49. Geburtstag, starb er an den Spätfolgen der KZ-Haft.

Hans Eiden – ein stiller Held und Teamplayer, wie man heute sagen würde. In seiner 1946 verfassten Erinnerungsbroschüre „Das war Buchenwald“ taucht er nur an zwei Stellen auf, als es um die Ernennung zum Lagerältesten und die Errichtung einer Brandwache geht. Die Vorgänge um die Selbstbefreiung schildert er als Sieg des Kollektivs.

Eiden wäre wohl in Trier vergessen, hätte nicht auf Betreiben maßgeblich der Grünen der Stadtrat die Erinnerung an ihn wiederbelebt. Beate Dorfeys Gutachten bildete die Grundlage für späte Ehrungen. So wurde 1995 eine bronzene Gedenktafel an der Stelle des Geburtshauses in der Engelstraße angebracht. Vor zwei Monaten wurde der Platz vor dem Bürgerhaus Trier-Nord nach Hans Eiden benannt.

 Titelblatt der Erinnerungsbroschüre „Das war Buchenwald“ von Hans Eiden (1946).

Titelblatt der Erinnerungsbroschüre „Das war Buchenwald“ von Hans Eiden (1946).

Foto: Stadtarchiv Trier

Dessen Wirken wäre auch in einem Festakt in Weimar zum 75. Jahrestag der KZ-Befreiung gewürdigt worden. Doch wegen Corona wurde die Gedenkveranstaltung mit Bundespräsident Walter Steinmeier, zu der Buchenwald-Überlebende und unter anderem der Weimarer Ehrenbürger und frühere Trierer OB Helmut Schröer eingeladen waren, auf April 2021 verlegt.

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