Hautnah bei der Operation am offenen Herzen

Trier · Eingriffe am Herzen gehören zu den schwierigsten Operationen. Sie können die Lebenserwartung verlängern und die Lebensqualität entscheidend verbessern. Über Chancen und Risiken klärt das Brüderkrankenhaus Trier Patienten künftig mit einem Film auf. Der TV hat eine komplette Herzklappen-OP hautnah miterlebt.

Trier. Professor Dr. Ivar Friedrich atmet noch einmal tief durch. Dann setzt der Mediziner eine Stahlklemme auf die Hauptschlagader (Aorta) am Herzen und unterbricht so den Blutkreislauf der Patientin. Wenig später hört der lebenswichtige Muskel auf zu schlagen - Herzstillstand!Rückblende, 45 Minuten zuvor: Mit meinem Kollegen Klaus Kimmling betrete ich den ersten Stock im Brüderkrankenhaus Trier, Abteilung Herz- und Thoraxchirurgie. Kardiotechniker Rüdiger Weidle lotst uns in die Hygieneschleuse. Wir müssen uns bis auf die Unterwäsche ausziehen und verwandeln uns in Marsmännchen: grüner Kittel und grüne Hose, Plastik-OP-Schuhe, Haarhaube und Mundschutz. Das Atmen fällt anfangs etwas schwer, Brille und Kameradisplay beschlagen.Brustbein wird zersägt

9.05 Uhr. Im Kardiotechnik-Vorbereitungsraum stoßen wir auf komplizierte Gerätschaften. Die Herz-Lungen-Maschine (HLM) beeindruckt schon allein mit ihren Ausmaßen. Ein Plakat zeigt Utensilien, die bei einer Herz-OP benötigt werden. Ins Auge fällt ein größeres Werkzeug: "Damit wird das Brustbein zersägt", gebe ich meinem Kollegen mein frisch erworbenes Wissen weiter. Was der Film "Moderne Herzchirurgie" des Brüderkrankenhauses erklärt (siehe Text unten), wollen wir live miterleben.Plötzlich steht der Hauptprotagonist des Films vor uns. Chefarzt Professor Dr. Ivar Friedrich lächelt zur Begrüßung und kommt zur Sache: "Es geht heute um die Reparatur einer Mitralklappe." Wenn sich das Herz zusammenzieht, muss sich diese Klappe zwischen dem linken Vorhof und der Hauptkammer schließen, sonst fließt ein Teil des Bluts zurück. Dadurch kann es zum Rückstau bis in die Lunge kommen (siehe Hintergrund).Künstliche Beatmung

9.12 Uhr. Der Operationssaal ist voller Schläuche, Kabel, Stecker, Bildschirme und Anzeigen. Was für den Laien chaotisch wirkt, folgt einer genauen Anordnung. Die Patientin liegt bereits unter Narkose auf dem Tisch. Außer dem zentralen Brustbereich ist der ganze Körper mit sterilen blauen Tüchern abgedeckt. Die 63-Jährige wird über einen Schlauch durch die Luftröhre künstlich beatmet.Durch die Speiseröhre führt eine Ultraschallsonde. "Mit dieser Echokardiographie können wir in jeden Winkel des Herzens schauen", erklärt Friedrich. Auf dem Bildschirm ist die Fehlfunktion der Mitralklappe auch für mich als Laien gut erkennbar: Bei jedem Herzschlag fließt ein Teil des farbig dargestellten Bluts in den Vorhof zurück.Genau das will das siebenköpfige OP-Team mit dem Eingriff ändern. Der Chefarzt setzt sich eine seltsame Apparatur auf den Kopf: Sie liefert dank hellen Lichts und Lupen vor den Brillengläsern noch bessere Sicht. Ein langer Schnitt mit dem Skalpell trennt die Haut an der Brust auf. Schon kommt die Säge vom Plakat vorhin zum Einsatz - mitten durchs Brustbein. Ein Thorax-Spreitzer hält den Brustkorb dauerhaft offen. Dieser Anblick ist nichts für schwache Nerven.Nur noch ein Gedanke

Doch es kommt noch härter. Auf einem Fußbänkchen hinter dem Kopf der Patientin stehend, sehe ich das pulsierende Herz. Kaum rot, sondern eher gelblich, durchzogen mit vielen Äderchen. Was, wenn es plötzlich aufhörte zu zucken? Der Gedanke lässt alles, wirklich alles andere auf einmal nebensächlich erscheinen.9.25 Uhr. Das Team arbeitet hoch konzentriert und präzise. Zügig, aber ohne Hektik. OP-Schwester Susanne Scharf sortiert immer wieder die sterilen Instrumente, damit alles schnell zur Hand ist.Der Stoff Heparin macht das Blut der Patientin vorübergehend ungerinnbar. In die Hauptschlagader wird eine Kanüle verlegt, worüber während der OP Blut in den Körper gelangt. Ein Schlauch führt sauerstoffarmes Blut in die HLM ab, ein anderer führt sauerstoffreiches Blut und Kalium zu.Ein Strich auf dem Bildschirm

9.33 Uhr. Rüdiger Weidle schaltet die HLM zu, die Schläuche füllen sich mit Blut. Die Maschine übernimmt auch die Beatmung. Als der Chefarzt die Aortenklemme setzt, werden die Ausschläge auf dem EKG (Elektrokardiogramm) kleiner. Nach Einleitung einer speziellen Lösung (Kardioplegie) ist auf dem Bildschirm nur noch ein grüner Strich zu sehen - Herzstillstand um 9.43 Uhr.Wenig später steht die Diagnose von Prof. Friedrich fest: "Wir können die Mitralklappe reparieren, aber nur mit hohem Aufwand. Wir müssen die beiden Segel der Klappe wieder auf eine Höhe bringen, damit sie richtig zusammenpassen. Außerdem müssen wir einige Schlitze verschließen." Mit flinken Fingern näht der Chefarzt zahlreiche Schleifen aus Kunststofffäden ein, um die versetzten Segel korrekt zu fixieren.Ständige Überwachung

Alle 20 Minuten folgt eine Unterbrechung für die Einleitung der Kardioplegie-Lösung, die das Herz während des Stillstands schützt. Oberarzt und Anästhesist Dr. Björn Janßen und Kardiotechniker Weidle überwachen auf den Monitoren die Körperfunktionen und Medikamentenwerte.Ich höre einen Signal-Piepton und sehe die Anzeige "Spritze fast leer". Auch das ist Routine: Janßen sorgt für Nachschub an Narkosemittel, damit die Patientin im Tiefschlaf bleibt.10.39 Uhr. Friedrich schneidet vorsichtig eine mehrere Zentimeter lange Verkalkung heraus, die in der Herzklappe gesteckt hat. "Wir müssen aufpassen, dass keine Kalkbröckchen zurückbleiben", erklärt der Herzchirurg.11.03 Uhr. Zur Stabilisierung des Klappenapparats näht Friedrich einen Ring ein. Als alle Fäden verknotet sind, folgt der entscheidende Test. "Okay, alles prima", stellt der Chefarzt fest.Die Anspannung löst sich etwas. "Das war eine sehr schwierige OP, und ich habe schon viele gesehen", betont die Technische Assistentin Larissa Nikonow.11.19 Uhr. Friedrich entfernt die Aortenklemme. Nach 96 Minuten Stillstand schlägt das Herz wieder, zunächst noch unterstützt durch die HLM. Auf einem Bildschirm vergleicht Dr. Janßen die Klappenfunktion vor und nach der OP: "Es fließt kaum noch Blut in den Vorhof zurück. Ein sehr schönes Ergebnis."11.38 Uhr. Es dauert relativ lange, die Blutungen im Brustkorb der Patientin zu stillen. Damit nach der OP Wundsekret abfließen kann, verlegt Friedrich drei Drainageschläuche durch die Haut nach draußen.Mit Nadel und Metalldraht

12.25 Uhr. Mit einer speziellen Nadel sticht der Chirurg durch das zu Beginn der OP zertrennte Brustbein und zieht einen Metalldraht hindurch. Die Enden des Drahts werden abgeschnitten, ineinander verdreht und dann flach umgebogen. Assistentin Nikonow vernäht schließlich die Haut der Patientin.Voller neuer Eindrücke verlassen wir den OP. Für Professor Ivar Friedrich und sein Team ist der Arbeitstag aber noch nicht zu Ende. Etwa 800 Eingriffe am offenen Herzen gibt es in der Abteilung pro Jahr. Sie ermöglichen vielen Patienten ein Leben ohne Luftnot.Video zum Thema untervolksfreund.de/videosDas Herz ist ein Hohlmuskel, der den Körper mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. An Ein- und Ausgang der Herzkammern befindet sich je eine Herzklappe. Wie ein Ventil regeln die Klappen die Strömungsrichtung des Blutes. Bei einer Mitralklappen-Stenose öffnet sich die Klappe zwischen linkem Vorhof und linker Hauptkammer nicht richtig; bei einer Insuffizienz schließt sie nicht richtig. Der dadurch entstehende Blutstau in der Lunge verursacht bei körperlicher Anstrengung Atemnot. Der Körper wird nicht richtig mit Blut versorgt, das Herz überanstrengt. cus Das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Trier versorgt als Schwerpunktkrankenhaus Patienten der ganzen Region. Betten: 562, davon 38 auf vier Intensivstationen. Patienten pro Jahr: 27 000 stationär, 54 000 ambulant. Mitarbeiter: 2230, davon 249 Ärzte und 746 Pflegekräfte. Fachabteilungen: 15. Die Abteilung für Herz- und Thoraxchirurgie mit 1400 Operationen pro Jahr ist einzigartig in der Region. Chefarzt: Seit Februar 2010 Prof. Dr. Ivar Friedrich. Der 50-Jährige hat einen Lehrauftrag an der Uni Mainz. Herzzentren außerhalb der Region: Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern, Universitätsmedizin Mainz. cus

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