Heimat in der Selbstkultur

TRIER. (cofi) Seine Lesung im Palais Walderdorff begann der Autor Rajvinder Singh mit dem Wunsch, einige Menschen zum Dialog zu verführen. Welche Texte er vortragen würde, entscheide er spontan, denn auch der Dialog verlange nach Spontaneität.

Vor sich auf den Tisch hatte Rajvinder Singh sämtliche seiner Publikationen gelegt. "Ich lese ein Gedicht, schaue, wie es ankommt und was ich weiter lese", forderte Singh sein Publikum, mit ihm in - wenn auch zunächst in einen nonverbalen - Dialog zu treten. Ebenso, wie die Situation in einer Lesung, entscheide das Gefühl und die Idee darüber, in welcher Sprache seine Gedichte entstünden, erklärte Singh. So könne er Fremdheit und Grenzen überwinden. Seine Heimat findet der 50-jährige Autor in seiner Selbstkultur. Übersetzen könne er seine Gedichte nicht. "Das fühlte sich so an, als ob ich meine Beine zurechthobeln müsste, damit sie in neue Hosen passen." So brachte er ein Gedicht auf Panjabi, seiner Muttersprache, in gesungener Form zu Gehör. Zu seinen in dieser Diktion verfassten Texten habe er sämtlich Melodien gebildet, um sie Menschen zugänglich zu machen, die weder lesen noch schreiben könnten. Einer Übersetzung bedurfte es in der Tat nicht, Singhs Gesang machte Verstehen. Auf seine "Stiefmuttersprache", wie er das Deutsche bezeichnet, das seit über zwei Jahrzehnten ein Medium seines Ausdrucks ist, versteht er sich ebenso, wie er in Englisch und Panjabi "lakonisch knapp Worte verdichtet". Dies sei eines der Grundbedürfnisse eines Gedichtes, das sich ebenso durch schöne, fantasievolle Bilder und nachhaltige Wirkung auszeichne, "wie ein Stein, der ins Wasser geworfen, Kreise auf der Oberfläche zieht". Diese Kreise erreichten die Zuhörer. Singh rezitierte Traurig-Melancholisches, wie das Poem "Alternde Freundschaften", eine Auseinandersetzung mit der Beziehung zu seinem Vater, sowie das Gedicht "Vom Schrumpfen des Dichters", das den Schaffensprozess, die Wahrnehmung des Wortes und das Versinken "der Sinnflüsse meiner Verse im Staub ungelebter Zeiten" thematisiert. Aber auch in nur wenigen Zeilen versteht Singh es, Lebensgefühle einzufangen, derer er sich etwa während seiner Stadtschreiber-Tätigkeit in Rheinsberg versah. "Vor mir das Meer, in mir der Sturm", heißt es in "Rheinsberger Stille". Eine Stecknadel hätte man im VHS-Vortragssaal ebenso fallen hören können wie den aufbrausenden Orkan, als Singh über die Hintergründe für den Zweizeiler, die auf ihn konzentrierten fremdenfeindlichen Anfeindungen, aufklärte. Die Trierer dürfen gespannt darauf sein, wie Singh als Trierer Stadtschreiber die Stadt und die Menschen sieht.

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