Mode Avatare treffen auf Fashion

Interview | Trier · Die Hochschule feiert 100 Jahre Modeunterricht in Trier. Und wie geht es weiter? Wie stellen sich die Modebranche und das Fach Modedesign für die nächsten 100 Jahre auf?

 Digitale Kollektionsübersicht von Saudin Crnovrshanin aus dem Semesterprojekt „It’s all just a game“: Thematisiert wird Op-Art und das neue Feld des Gaming, in das sich die ersten Modemarken wagen. 
 Alle auf dieser Seite gezeigten Arbeiten wurden von Professor Christian Bruns betreut. 
  Fot  o: Saudin Crnovrshanin

Digitale Kollektionsübersicht von Saudin Crnovrshanin aus dem Semesterprojekt „It’s all just a game“: Thematisiert wird Op-Art und das neue Feld des Gaming, in das sich die ersten Modemarken wagen. Alle auf dieser Seite gezeigten Arbeiten wurden von Professor Christian Bruns betreut. Fot o: Saudin Crnovrshanin

Foto: Saudin Crnovrshanin/Hochschule Trier

Kollektionen für das Videospiel: Die Mode hat ihren Weg in sogenannte „Zwischenwelten“ angetreten und verändert damit auch die Ausbildung der Modedesigner an der Hochschule Trier. Professor Dirk Wolfes skizziert im Jubiläumsjahr „100 Jahre Mode in Trier“ eine rasante Entwicklung. Die Textilindustrie steht vor großen Umwälzungen und mit ihr die Lehre. Ohne Digitalisierung und Nachhaltigkeit – keine Chance.

Bevor wir über die Zukunft sprechen: Wo steht das Fach Modedesign, wie sind die Chancen der Absolventen auf dem Arbeitsmarkt?

Dirk Wolfes: Sehr viele Unternehmen wenden sich direkt an uns und fragen nach Absolventen und Absolventinnen. Das heißt, die Studierenden finden en gros sehr erfolgreich in ihre Berufe. Das macht uns sehr stolz und ist das Ziel unserer Ausbildung.

Was zeichnet die Trierer Studierenden aus?

Wolfes: Trier hat von Beginn des Modeunterrichts vor 100 Jahren an, das Hauptaugenmerk darauf gelegt, dass es in der Ausbildung eine Balance zwischen dem angewandten „Machen“ und der künstlerischen Ebene hält. Viele Menschen haben die Modeklasse an der Werkkunstschule in den 1920er Jahren am Bauhaus ausgerichtet und aufgebaut. Es ist allerdings etwas gefährlich diesen Begriff zu verwenden, weil heute fälschlicherweise eine gewisse Stilistik damit verbunden wird, was der dahinter stehenden demokratischen Idee nicht ganz gerecht wird. Gutes Design und Gestaltung sollten für die Menschen erschwinglich sein und damit zugänglich gemacht werden. Das ist bis heute die Tradition, in der sich Trier über die Jahrzehnte immer weiter entwickelt hat. Das Ideal ist und war, die Lehre am Bedarf auszurichten, und gleichzeitig wegweisende Mode zu gestalten. Dazu kommen heute noch die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung – also sehr komplexe Herausforderungen.

 Look aus der Semesterarbeit „It’s all just a game“ von Saudin Crnovrshanin: Thematisiert werden Op-Art und das neue Feld des Gaming, in das sich die ersten Modemarken wagen. (WS 2021/22, betreut von Professor Christian Bruns.)

Look aus der Semesterarbeit „It’s all just a game“ von Saudin Crnovrshanin: Thematisiert werden Op-Art und das neue Feld des Gaming, in das sich die ersten Modemarken wagen. (WS 2021/22, betreut von Professor Christian Bruns.)

Foto: Saudin Crnovrshanin/Hochschule Trier

Wie schafft die Hochschule den Sprung in die Zukunft?

Wolfes: Wir haben die Fachrichtung in den vergangenen Jahren kontinuierlich modernisiert. 2018 wurde eine Professur für Digitale Modetechnologie mit Christian Bruns neu besetzt. Wir waren damals die erste deutsche Hochschule, die diesen Schwerpunkt in ihrem Curriculum auch mit einer Fachprofessur besetzt hat. Andere deutsche Schulen haben das anders gelöst, weil der Übergang von der Schnittgestaltung zur digitalen Modetechnologie fließend ist. Die Unternehmen fragen gezielt nach entsprechendem Wissen bei den Absolventen, weil die Designteams längst auf diese digitale Modegestaltung umgestellt werden.

Was bedeutet das?

Wolfes: Es wird alles digital entwickelt. Es beginnt mit dem Entwurf, der Skizze, und geht dann weiter. Die Schnitte werden an einem 3-D-Modell, einem Avatar, sichtbar gemacht. In unseren Software-Programmen lassen sich außer der Schnittentwicklung auch das textile Material aller möglichen Warengruppen einstellen – Wollqualitäten, Seide, Baumwolle oder Polyester, dazu natürlich alle Farben und Muster. Ich kann also samt des Falls des Stoffes alles an dem Avatar darstellen und Fehler im Schnitt sofort korrigieren. Das ist eine enorme Zeitersparnis gegenüber früher.

  Aus Paola Olaguivels Masterarbeit: „Emotionen im Metaversum – Wie können wir mit Mode unsere Emotionen in der digitalen Welt zeigen?“: Augmented Reality (Erweiterte Realität) Animation in Snapchat.

Aus Paola Olaguivels Masterarbeit: „Emotionen im Metaversum – Wie können wir mit Mode unsere Emotionen in der digitalen Welt zeigen?“: Augmented Reality (Erweiterte Realität) Animation in Snapchat.

Foto: Paola Olaguivels/Hochschule Trier

Man könnte also langfristig den textilen Müllbergen durch an Avataren maßgeschneiderten Kleidungsstücken begegnen?

Wolfes: Richtig. Diese Entwicklung geht gerade einher mit automatisierter Herstellung. Unternehmen wie Adidas, Nike aber auch andere wie Boss sind momentan dabei, digitale Produktionszentren aufzubauen. Das bleibt nicht nur eine Idee, diese Zentren gibt es bereits. Nike richtet dezentralisierte Produktionsstätten ein, die vollkommen automatisiert Sneakers herstellen – und dabei wird es nicht bleiben.

Legt kein Mensch mehr Hand an?

Wolfes: Nur noch wenige Menschen werden die Maschinen bedienen und ihnen zuarbeiten. Das klingt nachteilig, ist es aber, wie ich finde, nicht. Wenn ich an die fürchterlichen Arbeitsbedingungen von Näherinnen in Bangladesch und anderen Ländern denke, weiß ich nicht, ob es so lohnend ist, wenn wir mit unserer finanziellen Macht Menschen unterdrücken, sondern automatisieren, was möglich ist. Wir werden gleichzeitig viel weniger Transportwege und durch eine auf die Kunden zugeschnittene Herstellung viel weniger Überproduktion haben. Das Problem in der Mode ist die schiere Menge an zu vielen hergestellten Kleidern. Die Industrie muss ja sozusagen orakeln, wie viel sie in der kommenden Saison verkaufen wird. Deshalb kommt es zu Rabattierungen und Müllbergen ungetragener Kleidung. Diese Ressourcenvergeudung können wir uns nicht mehr leisten. Die Energie als unser großes Thema betrifft natürlich auch die Mode. Die Textilindustrie ist stark von fossilen Materialien abhängig.

 Aus dem Semesterprojekt „HUGY“: Eugen Dühr hat einen digitalen Influencer entwickelt, zum Aufbau einer Marke, als Spielfigur in Online-Games, als reales Spielzeug oder Sammlerpuppe.

Aus dem Semesterprojekt „HUGY“: Eugen Dühr hat einen digitalen Influencer entwickelt, zum Aufbau einer Marke, als Spielfigur in Online-Games, als reales Spielzeug oder Sammlerpuppe.

Foto: Eugen Dühr/Hochschule Trier

Brauchen wir nicht neue Stoffe, die wieder verwendet werden können?

Wolfes: Ja, auf diesem Sektor wird sehr viel getan. Luxuskonzerne wie LVMH oder aber auch Unternehmen wie Zara, C&A oder H&M forschen und entwickeln Materialien, die im Kreislauf funktionieren. Denken Sie alleine an Tencel, das ist eine Cellulose-Faser, die vollständig in den Materialkreislauf übergeht. Die Firma C&A baut zum Beispiel gerade in Mönchen-Gladbach die erste Jeansfabrik seit Jahrzehnten in Europa auf. Dort werden 400 Menschen arbeiten, die unter ökologischen Aspekten Jeans in Deutschland herstellen.

Es wird nicht nur geredet, sondern es bewegt sich etwas?

Wolfes: Das alles findet schon statt. Vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion muss man noch einmal betonen: Natürlich war einer der Haupttreiber der derzeitigen Probleme in den vergangenen 30 Jahren die sogenannte Fastfashion und Unternehmen wie Zara, H&M und viele andere. Aber sie bilden jetzt auch zusammen mit Luxusunternehmen wie Kering und LVMH die Speerspitze, die anfängt, ökologische Kleidung zu entwickeln, die sie auch technologisch umsetzen können. Wer könnte das sonst? Dahinter stehen ja riesige Investitionen.

Was ist mit den kleinen, ökologischen orientierten Start-ups?

Wolfes: Es sind die kleinen, neuen Designer gewesen, die das Ganze angestoßen haben. Der Nachwuchs hat kontinuierlich Fragen gestellt, dagegen gearbeitet und hat so schon vor vielen Jahren die Weichen gestellt. Wir brauchen immer alle.

Muss die Näherin in Bangladesch um ihren Arbeitsplatz fürchten?

Wolfes: Wenn ich jetzt so idealistisch über den Entwurf einer zukunftsweisenden Modeentwicklung spreche, weiß ich natürlich nicht, wie schnell das geht. Ich kann nur sagen, dass es diese Technologien gibt und man damit im Westen Erfahrungen macht. Der eigentliche Modekonsum findet aber auf dem asiatischen Markt statt. Die großen Umsatzplayer sind China, Südkorea oder Japan. Dort wird Mode in ungebremster Form massenhaft konsumiert und dort spielen diese Themen noch keine vorrangige Rolle. Laut Prognosen wächst die Modeindustrie noch einmal um fast die Hälfte an, weil große Volkswirtschaften wie Indien oder Brasilien in den nächsten Jahren zu mehr Wohlstand gelangen und konsumieren wollen. Etwas, das alle angesichts der Kritik vergessen: Das große Plus der Fastfashion ist die Demokratisierung. Durch die niedrigen Preise haben sehr viele Menschen einen Zugang zu Mode bekommen. Die Dinge sind nicht so einfach, in Gut und Böse zu trennen. Mein großer Appell lautet: Wir müssen darüber nachdenken, was wir tun, weil alles Auswirkungen hat. Alle glauben immer, das müssen andere für sie lösen. Nein, jeder muss selbst überlegen, ob er das nächste T-Shirt braucht oder nicht. Nachhaltigkeit ist kein Stil, sondern eine Haltung.

Kommen wir zurück zur digitalen Welt. Was tut sich da?

Wolfes: Besonders interessant ist die riesige, wachsende Games-Industrie. Modefirmen kooperieren mit Spieleherstellern – zum Beispiel Louis Vuitton (LVMH) mit League of Legends, einem der erfolgreichsten Computerspiele aller Zeiten, das zwar kostenlos ist, aber seine User können Gegenstände erwerben, um ihre Figuren auszustatten. Sie konnten für die Avatare Kleidung von Louis Vuitton kaufen, parallel gab es diese Kollektion auch im Geschäft – die gleiche Prêt-à-Porter für virtuelle Figuren und reale Menschen. Wir werden nach meiner Einschätzung noch sehr viel mehr dieser Zwischenwelten und fließenden Übergänge zwischen digitaler und realer Welt erleben.

Wie sorgt die Hochschule für den kreativen Input in der Lehre?

Wolfes: Wir bilden die jungen Menschen im Gestalten am Avatar, in einem abstrakten Raum aus. Damit die Sinnlichkeit der Mode, die Haptik, das Spüren und Fühlen nicht zu kurz kommen, haben wir jetzt eine Professur mit der Bildhauerin Sarah Weisman besetzt. Die Studierenden sollen erleben, wie es ist, etwas mit der Hand zu formen und wie sich Drei-Dimensionalität anfühlt. Eines der wichtigsten politischen Themen seit langem ist der Fachkräftemangel. Aber Handwerk lernt man nicht aus YouTube-Videos. Dieses Wissen wird von Hand zu Hand weitergegeben und die Hand muss sich an Abläufe gewöhnen, muss tasten, spüren, formen. Das gilt für das Fliesen legen genauso wie für das Mode machen.

Die Lehre ist anspruchsvoller geworden.

Wolfes: Der Modestudium ist in den vergangenen 100 Jahren sehr viel dichter und komplexer geworden, es ist sehr viel mehr Inhalt zu bewältigen. Unsere Aufgabe ist es, unsere Absolventen und Absolventinnen so auszustatten, dass sie auf dem vielfältigen Arbeitsmarkt bestehen können. Ich habe jetzt zum Beispiel gerade erfahren, dass eine unserer Studentinnen einen Festvertrag im Strick-Design bei dem Londoner Designer J.W. Anderson bekommen hat. Eine weitere hat vor einigen Wochen bei Closed eine Zusage erhalten und eine andere bei dem Kölner Label Feuerwear angefangen. Das sind Nachrichten, die mich sehr glücklich machen und für den Erfolg der Hochschule sprechen.

Die Fragen stellte Birgit Markwitan.

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