Humorige Rückblicke

TRIER. Aus seinem neuen Buch: "Das Schönste am Gedächtnis sind die Lücken" las Peter Ensikat in der Buchhandlung Interbook. Ensikat, der mit dem Berliner Distel-Theater drei Jahrzehnte lang die politische Kabarettszene des Ostens maßgeblich prägte, begeisterte seine Zuhörer mit geistreich-spöttelnder Geschichtsbetrachtung.

"Ich muss sehen können, ob jemand einschläft", sagt Peter Ensikat, als er gefragt wird, wo auf der Bühne er gerne Platz nehmen möchte. Was man als Tiefstapelei auffassen könnte, ist bereits ein erster ironischer Seitenhieb - auf die Haltung der an Freiheit und Konsum Gewöhnten, die von Kabarett vordergründige Unterhaltung erwarten. Einem ostdeutschen Polit-Kabarettisten, der 30 Jahre angesichts von Zensur und drohendem Berufsverbot nur durch hintergründigen Witz bestehen konnte, liegt diese Haltung fern. Wobei man schon beim Kernthema Ensikats angekommen ist, der Bewältigung einer Vergangenheit, die so weit geprägt hat, dass der Autor von sich behauptet: "Ich bleibe auch als Derzeitiger ein Ehemaliger".Trotz Humor immer ein ernster Unterton

Sich selbst und seine Rolle als von Honecker 1988 mit dem Nationalpreis ausgezeichneten und damit zur "Lachnummer" gewordenen Kabarettisten nimmt Peter Ensikat zum Anlass, einen bunten und teils bitterbösen Bogen durch die Geschichte zu schlagen, die er als "Verpackungskunst" selbst auf die Schippe nimmt. Denn: "Je schlechter das Gedächtnis, desto schöner die Erinnerungen." Und so erfahren die amüsierten Zuhörer, dass es erstaunliche Parallelen zwischen dem letzten Sachsenkönig und Erich Honecker gibt, dass das Geschlecht der Hohenzollern heute noch Chancen hätte, wenn sich Kaiser Wilhelm auf seinen Kostümfundus besonnen und sich wie die englische Queen mit dem Dasein als "Modefummel" abgefunden hätte, oder dass im Mittelalter doch nicht alles so schlecht war, weil es die Ketzerverfolgung als "Sinngebung mit Todesfolge" gegeben habe. Überhaupt die Sinnfrage: Auch hier holt Ensikat zu einem Rundumschlag aus, der sich vom "Flachland unserer Ansprüche" im Fernsehen bis zur genetischen Ähnlichkeit zwischen Mensch und Fruchtfliege erstreckt. Trotz allen Humors klingt immer ein ernster Unterton an, der den Kampf des "Ehemaligen" um die eigene Standortbestimmung deutlich macht. Zum Beispiel in einem Kapitel über sächsische Sprache und Mentalität, in dem Gefühle des Zu-kurz-Gekommen- oder Verkannt-Seins zum Ausdruck kommen. In Ensikats scharfsinnigen wie satirischen Betrachtungen wird klar, dass es noch eine Weile bis zur uneingeschränkten deutschen Einheit dauern kann. Denn die, so sagt der Autor, "findet erst Vollendung in der Vielfalt, wenn jeder Deutsche in welchem Dialekt auch immer sagen kann: So sind wir eben."

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