"Ich habe eigentlich nie etwas anderes gemacht"

TRIER. Einer der einflussreichsten Politiker der Region wird heute 75: Karl Haehser, 22 Jahre für die SPD im Bundestag und acht Jahre Staatssekretär im Finanzministerium, blickt auf eine bemerkenswerte Karriere zurück.

DerMann, der da unter dem Sonnenschirm im idyllischen Ambiente eineskleinen Bungalows in Mariahof sitzt, könnte auch einpensionierter Gärtner sein: Legere Kleidung, dichter, fast weißerVollbart, versonnener Blick. Einer, der in sich ruht, der seinenLebensabend zu genießen weiß, frei von den Zwängen und Ränken desBerufslebens. Das war nicht immer so. Da gab es Karl Haehser, den stets elegant gekleideten Fliegenträger, der sich auf dem Grillfest des SPD-Ortsvereins Heckhuscheid ebenso selbstverständlich bewegen konnte wie unter millionenschweren Aufsichtsräten von Großunternehmen.

Einst an den Schaltstellen der politischen Macht

Da gab es den unermüdlichen Schaffer, für den eine 70-Stunden-Woche immer noch nicht ausreichte, um die anfallende Arbeit unterzubringen. Da gab es den Volksvertreter, der berühmt dafür war, dass er Bürgern aus dem Wahlkreis selbst bei kleinen Problemen helfend zur Seite stand. Aber auch den Parteifunktionär und Strippenzieher, der mit eiserner Autorität den Laden zusammenhielt und dessen Spitznamen "Propeller-Charly" seine Parteifreunde allenfalls flüsterten.

Heute kann er die Bilderbuch-Karriere, die ihn vom Volksschüler in Bendorf-Sayn bis an die Hebel der Macht im unmittelbaren Umfeld von Größen wie Willy Brandt, Helmut Schmidt und Herbert Wehner führte, mit Distanz, ja fast Selbst-Ironie betrachten. Dass er mit 22 hauptamtlicher Parteifunktionär wurde und "eigentlich nie was anderes gemacht" habe, sieht er durchaus kritisch, ebenso wie den Umstand, "dass ich viele Aufgaben viel zu früh übernommen habe". Dass er "Wahlreden schon gehalten hat, ohne überhaupt wahlberechtigt zu sein", erwähnt er schmunzelnd.

Mit 27 zog er in den Landtag, mit 37 in den Bundestag ein, wo er sich bei den damals berühmten "Kanalarbeitern", dem konservativen SPD-Flügel, erste Sporen verdiente. 1974 holte ihn Helmut Schmidt als Staatssekretär ins Finanzministerium, kurz bevor der Hamburger zum Bundeskanzler aufstieg. Von der neuen Position aus konnte Haehser in parteiübergreifender Koalition mit Landespolitikern wie dem CDU-Minister Heinrich Holkenbrink wichtige Projekte für die Region "eintüten". Er amtierte als Aufsichtsratsvorsitzender der Salzgitter-AG, einem Bundesunternehmen mit 60 000 Mitarbeitern - und "einem Learjet als Dienstfahrzeug", wie er anmerkt, eher mit spöttischem als nostalgischem Unterton.

Ob er damals wirklich Macht ausüben konnte? Die meisten Politiker würden wohl eher abwiegelnd antworten. Karl Haehser bleibt ehrlich: "Jede Menge Macht sogar", räumt er ein, und verweist auf Milliardenbeträge, die er im Ministerium bewegen konnte.

Aber auch in kleinen Dingen hatte sein Wort Gewicht. So organisierte er im Handumdrehen bei der damals noch bundeseigenen Bahn, dass Trier eine direkte Schlafwagenverbindung nach München erhielt - heute schwerlich vorstellbar.

Als er nach der verlorenen Wahl 1982 in das Amt eines "normalen" Abgeordneten zurückkehrte, wurde ihm der Einfluss-Verlust um so deutlicher: "Auf dieser Ebene hätte ich sicher keine 20 Jahre arbeiten wollen", sagt er heute.

Aber diese Frage stellte sich für ihn bald nicht mehr, es gab Wichtigeres: den Kampf um die eigene Gesundheit. Drei schwere Krebs-Operationen in den 80ern, später zwei Herzinfarkte zwangen ihn zu einer völligen Veränderung der Perspektive. Dass er mit 75 noch auf seinem Balkon sitzen würde, "hätte ich damals nie für möglich gehalten". Dass die schweren Krankheiten auch ein Preis gewesen sein könnten für den jahrelangen Raubbau durch extreme Belastung, räumt er heute durchaus ein.

So hat er bis auf kleinere Ehrenämter alle Funktionen abgegeben. Was aber mitnichten heißt, dass er mit dem öffentlichen Leben abgeschlossen hätte, im Gegenteil. Nach drei Sätzen landet jedes Gespräch bei der aktuellen politischen Lage im Land, zu der Karl Haehser eine dezidierte Meinung hat, besonders in Sachen Finanz- und Wirtschaftspolitik. Aber die sagt er "nur intern". Da kommt, selbst im hohen Alter, der in der Wolle gefärbte Sozialdemokrat zum Vorschein.

Heute ein Mann, der das Leben genießt

Dass er auf dem Laufenden bleibt, dafür sorgt auch modernste Technik: In seinem heimischen Büro stehen nicht nur tonnenschwere Ordner, in denen jeder Presse-Artikel in Sachen Haehser akribisch gesammelt ist, sondern auch ein PC mit allen Schikanen. "Ich weiß zwar nicht, wie es funktioniert, aber ich kann es bedienen", sagt er schelmisch, und zaubert eine Datei mit Bildern seiner sieben Enkelkinder hervor.

Ehefrau Anita hat derweil ein Foto-Album aus den Siebzigern herausgesucht, um zur dokumentieren, dass ihr Mann auch damals schon gelegentlich unter die Bartträger ging - im Urlaub. Jetzt kann er sich die saloppe Gesichtstracht auf Dauer leisten - und die 60 Fliegen kommen selten zum Einsatz. Heute Abend wird er wohl wieder eine tragen, bei seiner Geburtstagsfeier. "Im kleinen Familienkreis" will er feiern. Und seine Ärzte hat er eingeladen.

Karl Haehser weiß, wem er zu verdanken hat, dass er auch mit 75 noch unterm Sonnenschirm in seinem idyllischen Garten sitzen kann.

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