"Ich habe keine Hoffnung mehr": Multikulturelles Zentrum vor dem Aus - Engagement für Flüchtlinge und Migranten gefährdet

Trier · Seit zwei Jahrzehnten setzt er sich für Flüchtlinge und Migranten ein, nun scheinen die Tage des Vereins Multikulturelles Zentrum gezählt - weil es ihm an finanzieller Unterstützung fehlt. Dem Geschäftsführer wurde bereits gekündigt. Am Montag soll über eine Auflösung des Vereins entschieden werden.

Trier. Ilyas Pinars Stimmung ist gedrückt. Sie wird sich auch nicht mehr aufhellen; nicht in diesem Gespräch im eher spartanisch eingerichteten Büro des "Multikulti", wie das Zentrum von vielen genannt wird. Pinar zählt zu den Gründungsmitgliedern des Vereins, seit zehn Jahren ist er Geschäftsführer der gleichnamigen Einrichtung im Mehrgenerationenhaus. "Ich persönlich habe keine Hoffnung mehr", sagt der 55-Jährige. Es ist ein Satz, der keine Ausflüchte lässt und keinen Ausweg verspricht. Am Samstag endet Pinars Vertrag, zum 15. November wurde ihm gekündigt.
Das Multikulturelle Zentrum ist nicht irgendein Verein (siehe Hintergrund). Anfang der 1990er gegründet, engagierten sich in ihm seither viele, vor allem junge Menschen. Alle einte das Anliegen, Migranten und Flüchtlingen das Leben vor Ort ein wenig leichter zu machen sowie gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu mobilisieren. Etwa mit Angeboten für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Mit dem Projekt "Verstärker", das sich an diese jungen Menschen richtete, heimste der Verein Preise ein. Das stand zwar nicht im Vordergrund, doch weil Einrichtungen wie das "Multikulti" auf jeden Cent angewiesen sind, waren auch bescheiden dotierte Auszeichnungen willkommen.Einziger Tagesordnungspunkt


Auch Viktoria Herz engagierte sich anfangs im "Verstärker"-Projekt. Seit fünf Jahren ist sie aktiv und gehört dem Vorstand des "Multikulti" an. Der hat für kommenden Montag seine rund 80 Mitglieder zu einer Versammlung eingeladen. Einziger Tagesordnungspunkt: "Mögliche Auflösung des Vereins ,Selbstverwaltetes Multikulturelles Zentrum Trier e.V.\'". Spricht man mit Herz, scheint nur die Möglichkeit einer Auflösung zu bleiben. Seit Jahren habe man mögliche Zuschussgeber auf die prekäre finanzielle Lage hingewiesen, ohne Erfolg. Im Januar teilte das Mainzer Integrationsministerium gar mit, seinen jährlichen Zuschuss von 30 000 auf 29 100 Euro zu kürzen. Als Grund führte das Ministerium eine Vorgabe des Finanzministeriums an, die zur Folge habe, "dass wir bei allen Haushaltstiteln gezwungen sind, drei Prozent einzusparen". Wenige Wochen später ruderte man zurück und teilte nun mit, von einer Kürzung abzusehen.
Doch auch so reiche das Geld vorne und hinten nicht, beklagen Geschäftsführer und Vereinsvorstand. Genau besehen sei die Arbeit mit einer halben Stelle nicht zu schaffen, meint Herz; "wir bräuchten eigentlich drei Leute für die Geschäftsstelle". Die Studentin weiß, dass eine solche Forderung illusorisch wäre, und Illusionen macht sich Herz inzwischen keine mehr. Nötig seien rund 45 000 Euro, beziffert derweil Pinar die Summe, die das Zentrum bräuchte, um die Arbeit seiner Geschäftsstelle halbwegs fortführen zu können. Nachdem das "Verstärker"-Projekt wegbrach, fielen laut Vorstand auch die entsprechenden Projektmittel weg. Auf Nachfrage berichtet Herz, dass bei ihr und ihren Mitstreitern angesichts der fehlenden Aussicht auf finanzielle Besserung zwischenzeitlich die Motivation auf der Strecke blieb. Große Hoffnungen, das Blatt noch zu wenden, hegt auch sie nicht.
Dabei mangele es dem Zentrum an zweierlei nicht, betonen Pinar und Herz unisono: "Wir haben zwischen 30 und 40 Leute, die jede Woche mindestens ein oder zwei Stunden ehrenamtlich in diese Arbeit investieren", und die Sprachkurse seien weiter gefragt.
Die Vorsitzende des Trierer Beirats für Migration und Integration, Maria Duran Kremer, hofft, dass an einer Auflösung des Vereins noch ein Weg vorbeiführt: "Ich fände es schade, wenn sie aufgeben würden. Das Zentrum machte eine hervorragende Arbeit."Meinung

Mehr als bedauerlich!
Dass ein verdienter Verein wegen eines geringen fünfstelligen Betrags vor dem Aus steht und das Engagement Dutzender Ehrenamtlicher gefährdet ist, darf nicht sein! Wie auch immer man zu bestimmten politischen Positionen des Multikulturellen Zentrums stehen mag - die Arbeit, die ungezählte Menschen in den vergangenen Jahren und bis heute für Migranten und Flüchtlinge geleistet haben, verdient Respekt und bleibt unverzichtbar. Hunderte Menschen, die nach oft unvorstellbaren Leidenswegen nach Trier kamen, profitierten von diesem Einsatz; ohne die Unterstützung des "Multikulti" wären etwa zahlreiche minderjährige Flüchtlinge, die ohne ihre Eltern hierzulande Schutz suchten, vollends auf sich allein gestellt gewesen. Bund, Land und Stadt können nicht alles leisten, und dass die öffentlichen Haushalte nicht mehr so viel ausgeben können wie in früheren Jahren, steht außer Frage. Doch richtig ist auch: Es fehlt diesem Staat nicht an Geld, es wird nur falsch verteilt. Während andernorts horrende Summen in Prestigeprojekte fließen und Gutachter für viel Geld wenig Brauchbares liefern, soll es nicht mehr möglich sein, das eigentlich unbezahlbare Engagement des Multikulturellen Zentrums zu retten? Es wäre mehr als bedauerlich, wenn es denn wirklich so kommen sollte! trier@volksfreund.deExtra

Die bisher letzte Auszeichnung liegt erst wenige Monate zurück: Für sein Projekt "Verstärker" wurde das Multikulturelle Zentrum im Sommer unter knapp 10 000 Bewerbern aus der gesamten Republik mit dem "Engagement"-Preis einer großen deutschen Drogeriemarktkette geehrt. Viel Ehr\\' und noch mehr ehrenamtliches Engagement, doch wenig Geld - auf diesen Nenner lassen sich die Rahmenbedingungen der Arbeit des "Multikulti" bringen. Wer sich hier engagiert, teilt den Gedanken, "dass alle Menschen, egal welcher Herkunft, gleich behandelt werden müssen", wie es im Selbstverständnis des Vereins heißt. Anfang der 1990er auch als Reaktion auf fremdenfeindliche Krawalle und rassistische Übergriffe in Städten wie Solingen und Rostock gegründet, wenden sich die Aktivisten des in der Trierer Balduinstraße beheimateten Zentrums gegen Ausgrenzung und haben hierbei vor allem das Schicksal von Migranten und Flüchtlingen im Blick. Mit seinen Kampagnen gegen das frühere "Ausreisezentrum" in der Dasbachstraße, der Organisation von Demonstrationen gegen die rechtsextremistische NPD, aber auch der Kritik an der Asylpolitik des Bundes und der Länder bezog der Verein zudem auch immer wieder politisch Position. Sich allein auf soziales Engagement zu beschränken, war nie die Sache der "Multikulti"-Macher. Doch auch umgekehrt gilt: Praktische und mitmenschliche Unterstützung im Sinne einer besseren Integration von Migranten und politische Arbeit gehen hier Hand in Hand. mst

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