Aus unserem Archiv Christian Pfeil im Interview: Im Ghetto geboren und trotzdem mit den Deutschen wieder versöhnt

Christian Pfeil wurde im Januar 1944 im Ghetto Lublin geboren. "Es ist ein Wunder, dass ich überlebt habe", sagt der heute 68-Jährige, dessen Familie aus Trier stammt. Mit dem Trierischen Volksfreund sprach er 2012 anlässlich der Einweihung einer Gedenkstätte für deportierte und ermordete Trierer Sinti und Roma. Ein Beitrag aus unserem Archiv.

Trier. "Es hält mir den Hals zu, wenn ich mich an die Erzählungen meiner Großfamilie erinnere, wie oft sie zum Erschießen an der Wand standen, wie oft sie hungerten", sagt Christian Pfeil. Er selbst hat keine Erinnerungen an diese grauenvolle Zeit, denn er wurde im Ghetto Lublin geboren. Irgendwann im Januar 1944. Den Tag wusste seine Familie nicht genau. Das Leid, in das er als Säugling geboren wurde, hat sich tief in seine Seele gebrannt.
"Die zweite Generation ist genauso betroffen wie die erste", sagt er. Christian Pfeil bezeichnet es als Wunder, dass die hungernde, von ständiger Todesangst erfüllte Familie ihn durchbekommen hat - und dass sie den Holocaust überlebt hat.
Im Mai 1940 war die Großfamilie von Trier erst nach Köln und dann nach Polen deportiert worden. Sie wurde in verschiedene Arbeits- und Vernichtungslager gebracht. Dass seine Eltern mit acht Kindern nicht wie viele ihrer Verwandten ermordet worden waren, schreibt der Holocaust-Überlebende der Musik zu, "die mein Vater für die Nazis gespielt hatte".
Doch nach Kriegsende kehrte er mit seiner Familie nach Trier zurück, wo es weiterging mit Ausgrenzungen und Herumgehacke: in der Schule, auf Ämtern. "Ich habe ständig gespürt, nicht willkommen zu sein. Ich hasste Deutschland damals", sagt Pfeil.
Mitte der 90er Jahre erlebte er als Gastwirt ein weiteres Trauma: Die Gaststätte Alter Bahnhof in Trier-Süd wurde zwei Mal komplett zerstört.
Wunden sind vernarbt

"Das Schlimmste waren die Hakenkreuze und SS-Runen überall", sagt er und hält inne. Die Tat blieb ungeklärt, ein hochrangiger Politiker habe ihm damals unmissverständlich klargemacht, dass es keine Rechtsradikalen in Trier gebe. Tief verletzt und voller Angst ging der Gastwirt erst einmal ins Ausland.
Mit Hilfe von Musik und zahlreicher Gespräche sind die Wunden in all den Jahren vernarbt. Der beste Weg, um aus dieser Sache psychisch herauszukommen, sei zu verzeihen. "Ich habe der deutschen Gesellschaft verziehen", sagt Christian Pfeil. "Aber das, was geschehen ist, darf niemals vergessen werden." Dazu wird das Mahnmal (siehe Extra), das heute eingeweiht wird, beitragen. "Wir warten fast zwanzig Jahre auf die Gedenkstätte." Sie sei eine Genugtuung und er sei stolz auf die Trierer. "Es muss noch viel Aufklärungsarbeit passieren", meint er. Er hofft, dass vor allem viele Jugendliche sich informieren werden. "Denn wenn man die rechtsextremen Ausmaße sieht, bekomme ich es mit der Angst zu tun", sagt Christian Pfeil.
Extra

Zur Erinnerung an die während der Nazi-Zeit in Konzentrationslagern deportierten und ermordeten Trierer Sinti und Roma hatte die Stadt Trier auf Initiative des rheinland-pfälzischen Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma beschlossen, eine Gedenkstätte auf dem heutigen Bischof-Stein-Platz zu errichten. Die von dem Trierer Künstler Clas Steinmann entworfene Stelenreihe soll an das Schicksal der aus Trier deportierten und ermordeten Sinti und Roma erinnern. Am heutigen Montag, 10. September um 12.30 Uhr wird sie eingeweiht. kat

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