Sicherheit Immer mehr Trierer bewaffnen sich

Trier · In der Stadt und im Kreis greifen immer mehr Bürger zu Schreckschusspistolen und Pfefferspray, um sich sicherer zu fühlen. Polizei und Experten warnen: Das erhöht nicht die Sicherheit, sondern die Gefahr.

 Zwischen Pappbechern und Stiften hängt in diesem Regal in der Trierer Innenstadt Pfefferspray. Gefährlich, sagen Experten: Das suggeriere eine Unsicherheit, die es in Wirklichkeit nicht gebe.

Zwischen Pappbechern und Stiften hängt in diesem Regal in der Trierer Innenstadt Pfefferspray. Gefährlich, sagen Experten: Das suggeriere eine Unsicherheit, die es in Wirklichkeit nicht gebe.

Foto: Clemens Sarholz

Zwischen USB-Sticks, Batterien und Pappgeschirr hängen im Frühsommer in einem Trierer Drogeriemarkt kleine Dosen im Regal: „Pfefferspray für die Tierabwehr“ steht darauf.

Sie sind für kleines Geld zu haben, nicht einmal zehn Euro zahlt der Kunde. Das Spray wurde „aufgrund der vielen Nachfragen unserer Kunden in unser Sortiment aufgenommen“, sagt Geschäftsführer des Drogriemarkts. Mittlerweile sei das Pfefferspray allerdings nur noch im Online-Shop zu bekommen.

Es ist nicht nur der Wunsch nach Pfefferspray. Auch Schreckschusspistolen sind zunehmend gefragt. Im Kreis Trier-Saarburg zum Beispiel gab es 2014 noch 370 sogenannte „Kleine Waffenscheine“, die es erlauben, mit Schreckschusswaffen unterwegs zu sein. 2018 sind es bereits 800. Das ist eine Steigerung von mehr als 100 Prozent. Diese Zahlen hat die Kreisverwaltung auf TV-Anfrage mitgeteilt.

Was treibt Menschen in der Region dazu, sich das Gefühl von Sicherheit erkaufen zu wollen? Ingo Meinhardt, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Büchsenmacher und Waffenhändler, spricht von einer allgemeinen Verunsicherung nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2015 in Köln. Tatsächlich gaben im April bei einer Umfrage von Welt/Emnid 41 Prozent der Befragten an, sich im öffentlichen Raum unsicherer zu fühlen als vor fünf Jahren.

Edgar Karl bietet in seinem Trierer Schustergeschäft neben Schnürsenkeln und Reparaturdienstleistungen auch Schutzbewaffnung an. Schlagstöcke, Pfefferspray und Messer liegen in seinem Schaufenster aus. „Die Leute fühlen sich unsicher“, erzählt er. Auch er selbst trage Pfefferspray in der Tasche – schließlich wisse man ja nie, wer hereinkomme.

Die Betreiberin eines  Waffengeschäftes bestätigt das gestiegene Sicherheitsbedürfnis. Mittlerweile kämen viele Frauen und ältere Menschen zu ihr: „Viele haben das Gefühl, etwas tun zu müssen. Denn wenn es um Sekunden geht, dann ist die Polizei noch Minuten entfernt.“

Dieser gefühlten Unsicherheit stehen die Fakten klar entgegen: „Nirgendwo in Rheinland-Pfalz leben die Menschen sicherer als in der Region Trier. Das ist, auf einen einfachen Nenner gebracht, die Botschaft, die Triers Polizeipräsident Rudolf Berg bei der Vorstellung der aktuellen Kriminalstatistik vermittelte“, berichtete kürzlich der TV.

Die Polizei sieht die zunehmende private Aufrüstung kritisch: „Wir raten dringend davon ab, sich zum Schutz zu bewaffnen.“ Das gaukle eine höhere Sicherheit nur vor. Besser sei es, Gewalt präventiv zu behandeln und sich zurückzuziehen, bevor man Opfer werde, sagt Polizeisprecher Karl-Peter Jochem auf TV-Anfrage. Polizisten durchliefen eine intensive Ausbildung darin, in Extremsituationen einen klaren Kopf zu bewahren und Waffen richtig einzusetzen. Eine solche Ausbildung fehle den meisten Bürgern, deshalb führe die Schutzbewaffnung letztlich sogar zu einem größeren Gefahrenpotenzial.

Allerdings bleibt die Polizei gelassen: Von der eklatanten Vermehrung der Waffenscheinbesitzer habe man bisher nichts bemerkt, auf den Dienstalltag habe sie keinen Einfluss.

Eva Walther ist Professorin für Sozialpsychologie an der Universität Trier. Sie pflichtet Polizeisprecher Jochem bei: Mehr Waffen führen nicht zu einer sichereren Welt. „Das Gegenteil ist der Fall“, betont sie. Waffen steigerten nachweislich die Aggressivität. Dass Schuster oder Drogerieketten Pfefferspray verkaufen, hält Walther für bedenklich. Das suggeriere: „Hier ist es gefährlich, hier muss ich mich schützen.“ Walther wünscht sich mehr Vernunft und Rationalität in der Debatte. „Deutschland ist eines der sichersten Länder dieser Welt.“

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