"In Deutschland haben wir Uhren, in Indien Zeit"

Vor Jahrhunderten war es das alte Europa, das seine Missionare in die entlegensten Winkel der Erde aussandte, um die christliche Botschaft zu verkünden. Heute ist Europa selbst zu einem Missionskontinent geworden. Der TV hat die Indischen Schwestern in Schweich besucht.

 Auch, wenn die Zeit oft sehr knapp ist, Schwester Betsy hat immer ein offenes Ohr. TV-Foto: Sandra Blass-Naisar

Auch, wenn die Zeit oft sehr knapp ist, Schwester Betsy hat immer ein offenes Ohr. TV-Foto: Sandra Blass-Naisar

Schweich. (sbn) Der Rückgang geistlicher Berufe, der Schwund an Priestern und Ordensleuten berührt auch die sozialen Berufe. Vieles könnte - vor allem in der Pflege - nicht geleistet werden, wenn nicht heute die einstigen Missionsländer ihre Ordensfrauen und -männer schicken würden. Der Trierische Volksfreund hat kürzlich die Indischen Schwestern besucht. Sie kamen vor 25 Jahren ins Bistum Trier und tun seither in Schweich an der Mosel und in Bad Neuenahr im Altenheim ihren stillen Dienst. Zurückhaltend, geduldig, in sich ruhend. Die den Inderinnen angeborene innere Freude verbirgt die Sehnsucht nach Zuhause, die Erinnerungen, das Heimweh nach dem stahlblauen Himmel über Kerala an der Kokospalmen gesäumten, warmen Malabarküste im Südwesten Indiens.Oberin des Konvents mit derzeit acht Schwestern in Schweich, alle zwischen 29 und 59 Jahre alt, ist Schwester Bency, eine Frau im besten Alter, examinierte Krankenschwester, couragiert und anpackend, der "gute Geist" im Altenheim. Obwohl sie seit 25 Jahren in Schweich lebt, ist sie nie heimisch geworden. Was weniger am Klima liegt, als an der Mentalität der Menschen. "Wir in Indien leben anders, haben vor allem Zeit füreinander, für das Leben in der Familie, die die Keimzelle unserer Gesellschaft ist", bringt es die Ordensfrau auf den Punkt. "In Deutschland haben wir Uhren. In Indien Zeit. Betriebsamkeit, Hektik und Stress lassen keinen Raum für Zwischenmenschliches, für das ganz persönliche Miteinander, für die liebevolle Zuwendung."Schwester Bency, Schwester Jasmin, Schwester Alfi und Schwester Joel erzählen von einem Arbeitstag im Altenheim, der streng nach Zeiteinheiten je nach Pflegestufe geregelt ist. "Der ganze Tag ist in Zeit-Raster eingeteilt, da bleibt keine Luft zum Hinhören, Zuhören und Trösten", sagt auch Schwester Roselyn leise und man spürt etwas von der Verzweiflung und Zerrissenheit einer Ordensfrau, die mehr geben möchte und doch nie fertig wird mit ihrer Arbeit.Die Schwestern leben nach der Karmeliter-Regel: "Bleibe in mir durch Gebet. Sei mir geweiht durch Taten der Liebe."Je nach Schicht beginnt der Tag um 5 Uhr in der Frühe mit dem Morgen-Gebet, dann geht es zur Arbeit ins Altenheim, nach dem Kaffee am Nachmittag ist eine Stunde lang Meditation, heilige Messe um 18.30 Uhr, Abendessen, Gebet, Nachtruhe.Schwester Betsy sorgt mit indischen Gewürzen und Spezialitäten, die oft auf den Tisch kommen, für den Draht nach Hause. Durch Computer, Internet und Telefon ist die Heimat näher gerückt. Vor allem für die jungen Schwestern Josia und Princy ist das wichtig.Käme morgen ein Anruf der Generaloberin, dass sie zurück nach Kerala kommen sollten, sie hätten heute schon die Koffer gepackt.Und dennoch sind die acht Schwestern zufrieden, haben ihre Mission angenommen. Nicht nur, weil der Orden es so verlangt. Ihre Freude, ihren Optimismus und ihre Kraft finden sie im Gebet. Die winzig kleine Kapelle im Konvent in der Schweicher Neustraße macht es jeden Tag aufs Neue möglich, dass die Schwestern aus "Gottes eigenem Land", wie Kerala von den Einheimischen liebevoll genannt wird, hinausgehen in eine fremde Welt, um Gottes Liebe zu leben.

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