"In Europa hineinschmelzen"

TRIER. Sie wäre eine engagierte Medienwissenschaftlerin, eine sorgfältige Übersetzerin von Büchern, eine begeisterte Lehrerin der nachfolgenden Generation: Mutsuko Ayano. Am 30. September wäre die in Trier ermordete japanische Studentin 50 Jahre alt geworden.

Frische Blumengestecke und einige kleine Zierkürbisse schmücken den Gedenkstein auf dem Petrisberg nahe dem "Franzensknüppchen", wo die 27-jährige Mutsuko Ayano am 17. November 1983 einem brutalen Raubmord zum Opfer gefallen ist. Ein Trierer Ehepaar, das in der Nähe seinen Garten hat, kommt regelmäßig hierhin zu Besuch und setzt sich dafür ein, dass die liebenswerte Japanerin nicht vergessen wird. Der Täter, ein 20-jähriger polnischer Schaustellergehilfe, ermordete kurz darauf eine Regensburgerin und musste lebenslänglich hinter Gitter. Anwohner auf dem Trierer Petrisberg beklagen, dass der Kreuzweg, den die Studentin zur Uni gehen wollte, mehr und mehr verfällt und nicht beleuchtet ist. Mutsuko Ayano war nach Trier gekommen, um ihr in Japan abgeschlossenes Germanistikstudium mit der Promotion fortzuführen. Die zahlreichen Briefe, die von ihr erhalten sind, zeugen von einer sensiblen und positiv eingestellten jungen Frau, die sich mit ganzem Herzen für die Verständigung zwischen beiden Kulturen einsetzte. "Hier habe ich eine Lebensweise kennen gelernt und erlebt, die über die Zeit jetzt und den Raum hier hinausgeht; die darin besteht, sich selbst in Ruhe zu betrachten und ständig mit sich zu kämpfen, um etwas Wesentliches zu finden.", schreibt sie im Februar 1983. Im April sinniert sie: "Wenn ich an den Tod denke, wird die Frage, wie man leben soll, immer mehr von einer fernen, rein philosophischen Frage zu einer sehr nahen, persönlichen Frage für mich." An Mutsuko Ayano erinnert die gleichnamige Stiftung, die jedes Jahr ein Stipendium für einen Studienplatz in Trier an besonders begabte japanische Studierende oder Graduierte vergibt. Eine ehemalige Stipendiatin lehrt mittlerweile Germanistik in Tokio und spielte eine maßgebliche Rolle beim Zustandekommen der Partnerschaft zwischen der Trierer Uni und der Tokioter Gakugei Daigaku. Seitdem findet ein reger Austausch statt."Ich möchte in Europa hineinschmelzen", schreibt Mutsuko Ayano, "aber nicht wie Salz, das sich auflöst, sondern wie Zucker, der Wasser in sich aufsaugt und, die eigenen Moleküle zusammenhaltend, andere in sich aufnimmt." Dies ist der jungen Japanerin trotz ihres frühen tragischen Todes gelungen.

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