In Hentern brach die Hölle los

TRIER. Im Herbst 1944 ist der Krieg in der Heimat Wirklichkeit geworden. Familie Hoffmann bleibt in Trier - noch. Vater, Mutter, zwei Töchter, ein Schwiegersohn und Sohn Bernhard wohnten im Schatten der Paulinskirche. Er erzählt:

Oktober 1944: Rosenkranzmonat. Mutter schickt mich frühabends zur Rosenkranzandacht. "Junge", ermahnt sie mich, "geh' aber gleich in die Kirche und erspare dir das Schwätzchen vorher. Eine Unsitte!" Ich folge ihr. Mein Glück. Kaum habe ich Platz genommen, als lässt plötzlich eine gewaltige Explosion de Stille zerbersten. Chaos, Panik. Staubnebel. Glasscherben klirren. Keine Sicht. Schreiend tastet sich alles zum Ausgang. Flucht nach Hause - in den Luftschutzkeller. Artilleriebeschuss - sporadisch - die ganze Nacht über. Die Granateinschläge kommen näher und näher. Von Todesangst getrieben, flüchten wir und mit uns einigen anderen Familien in die Paulinskirche. In der Krypta betten wir uns zwischen Sarkophagen und Reliquienschreinen der Thebäischen Märtyrer - und überleben!Die erste Artilleriegranate auf Trier, abgefeuert von einer auf den Kockelsberg vorgerückten Batterie der US-Amerikaner, schlug unmittelbar rechts neben dem Hauptportal der Paulinuskirche ein und beendete das Leben unseres Mitschülers Walter Bechtel, Sohn des damaligen Küsters von St. Paulin.Dies bewegte unsere Eltern, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen. Mein Schwager, luxemburgischer Staatsbürger, war von der Organisation Todt dienstverpflichtet und durfte die OT-Bunkerbonzen für die Inspektionen am Westwall mit einem requirierten Citroën-PKW chauffieren. Auf einer seiner Inspektionsfahrten organisierte er unser Fluchtquartier. Anfang November 1944 bezogen wir unsere Unterkunft bei der Familie Justinger in Lampaden.Mein Vater - mittlerweile 48 Jahre alt - wurde zu den Fahnen gerufen und stellte sich befehlsgemäß dem Volkssturm im Ausbildungslager Fell zur Verfügung.Ab Anfang Dezember lag im Osburger Hochwald sehr hoher Schnee. Auf zurechtgezimmerten Fassdauben (Schneeschuhersatz) stapften wir Kinder an Heiligabend ins Nachbardorf Obersehr und beobachteten von der Höhe aus den schweren Bombenangriff auf Trier. Nach Einbruch der Dunkelheit dröhnte der Himmel vom Motorengeräusch amerikanischer Bomberpulks. Über Trier wurde es taghell. Darauf folgend nicht endende, unzählige Bomben- und Luftminendetonationen - ein Inferno! Wir verspürten den Luftdruck trotz der Entfernung.Bis Mitte Februar 1945 war es relativ ruhig. Dann plötzlich - flüchtende Wehrmachts- und Waffen-SS-Soldaten im Dorf. Die ersten Amerikaner kamen. Wir mussten alle in die Pfarrkirche und der Dinge harren, die da kommen sollten.Kurz darauf: Gegenangriff der Waffen-SS. Die Amerikaner wurden zurückgedrängt. Vorher veranlasste ein US-Offizier uns, Lampaden so schnell wie möglich zu verlassen. Unsere Sicherheit sei in Gefahr!Mit dem Pferdegespann unserer Quartierleute zogen wir durch das lichterloh brennende Baldringen nach Hentern, kamen aber vom Regen in die Traufe. Kaum hatten wir unser Notquartier in der Hauptstraße bezogen, brach die Hölle herein. Kugeln fliegen uns nur so um die Ohren. Die US-Amerikaner brachten schwere Artillerie in Stellung und feuerten pausenlos über unsere Köpfe hinweg in den auf der unteren Uferseite der Ruwer gelegenen Fichtenwald: Trommelfeuer. Der Wald wurde regelrecht "umgepflügt".Nach ein paar Tagen - Ruhe. Die Waffen-SS war abgezogen; die Amerikaner rückten nach. Der Rückweg nach Lampaden war frei!Anfang März zogen wir zu Fuß mit eigener Muskelkraft - unser Handwagen war hochbeladen - über die Tarforster Höhe hinunter nach Trier. Wie sah´s aus daheim? Unser Vate hatte rechtzeitig die "Volkssturmflinte" ins Korn geschmissen. Er empfing uns in bester Verfassung, war er doch als "versprengter" Reichsbahnbeamter von der in der Petrusstraße provisorisch installierten US-Militärregierung als Hausmeister in Dienst genommen worden.Da sich in den dortigen Räumlichkeiten ein Proviantlager der US-Army befand, war für eine geraume Zeit unser Verpflegungsproblem bestens gelöst. Von dieser Nahrungsquelle profitierten auch die nach und nach heimkehrenden Nachbarn.Mitte März 1945war für uns der Weltkrieg zu Ende - Gott sei's gedankt. Bernhard Hoffmann lebt heute in Merzig-Büdingen. Damalige Adresse: Trier, Klosterstraße 6, Heute: Balthasar-Neumann-Straße 6. Er war damals zehn Jahre alt.

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