Internet-Profile von Verstorbenen stellen Angehörige vor neue Probleme

Trier · Stirbt ein Mensch, der in sozialen Netzwerken wie Facebook unterwegs war, stehen Angehörige vor der Frage: Was soll mit dem Profil des Verstorbenen im Internet geschehen? Die Antworten auf diese Frage fallen höchst unterschiedlich aus, wie zwei Fälle aus Trier zeigen. Und bisweilen ist es schwierig, eine getroffene Entscheidung umzusetzen.

 Trauer vor dem Bildschirm: Was passiert mit den persönlichen Daten eines Verstorbenen? Für Angehörige ist das oft eine schwere Entscheidung.

Trauer vor dem Bildschirm: Was passiert mit den persönlichen Daten eines Verstorbenen? Für Angehörige ist das oft eine schwere Entscheidung.

Foto: Kim-Björn Becker

Drei Buchstaben, und die Nachricht ist in der Welt. "RIP" - requiescat in pace. Ruhe in Frieden. Die Lettern stehen auf der Facebook-Pinnwand von Holger Schmitt*, sie sind unübersehbar. Wenige Stunden nach dem ersten Eintrag kommt ein zweiter, bald noch ein dritter hinzu. Innerhalb eines Tages verewigt sich knapp ein Dutzend Bekannte auf Holgers virtueller Pinnwand, richtet letzte Grüße an ihn, kondoliert seinen Angehörigen. Spätestens dann kann niemand mehr daran glauben, dass es sich bei den Kommentaren um einen schlechten Scherz handelt. Holger ist tot. So viele können sich nicht irren.

Holger, der in Trier studierte, starb kurz vor seinem 29. Geburtstag an Leukämie. Nur die engsten Freunde wussten sofort Bescheid. Alle anderen erfuhren es zwei Tage später im Internet über die Pinnwand-Einträge auf Facebook. Knapp ein Jahr danach ist Holgers Facebook-Profil noch immer aktiv. Jeder seiner 400 Kontakte kann ihm dort eine Nachricht hinterlassen. Die letzte stammt vom Dezember, es ist eine automatisch versendete Anfrage, gemeinsam ein Internet-Spiel zu spielen. Für die Großrechner von Facebook ist Holger noch am Leben.
Daten bringen Geld

Im Internet-Zeitalter stirbt jeder Mensch zweimal. Dem biologischen Tod folgt der virtuelle. Doch dieser kommt nicht von alleine. Stirbt ein Mensch, bestehen seine persönlichen Daten zunächst weiter, auch in sozialen Netzwerken wie Facebook. Die Kurznachrichten und Fotos, die Kommentare und "Gefällt mir"-Eingaben, sie kennen kein Ableben. Das hat einen Grund: Mit dem Sammeln von Daten verdient das Unternehmen sein Geld.
Das Geschäftsmodell von Facebook und die Wünsche der Angehörigen sind nicht immer gut miteinander zu vereinbaren. Heidi Schmitt*, die Mutter von Holger, hatte nach dem Tod ihres Sohnes eine klare Vorstellung davon, was mit seinen Daten passieren soll: "Ich hätte das Profil gerne sofort gelöscht, aber ich hatte keine Ahnung, wie das funktioniert", sagt sie. "Holger war immer sehr vorsichtig mit dem, was er ins Internet stellte. Ich bin mir sicher, dass er nicht gewollt hätte, dass sein Profil noch so lange im Netz bleibt."

Das Beispiel zeigt: Die Eltern von jungen Menschen müssen nicht nur den Tod ihres Kindes verkraften. Sie müssen danach auch dessen digitalen Tod organisieren - selbst dann, wenn sie von dieser Welt kaum Ahnung haben. Holger Schmitt ist kein Einzelfall: Kombiniert man die Daten von Todesfällen und Internetnutzung für Menschen zwischen 14 und 29 Jahren, müssten im Jahr 2010 etwa 5000 Internet-Profile verwaist sein, weil ihre Inhaber starben. Allein beim größten Netzwerk Facebook müsste es etwa 2000 Fälle wie den von Holger gegeben haben.
In vielen Fällen entscheiden sich die Eltern, das Profil ihres toten Kindes zu löschen. Doch das ist nicht die einzige Option. Manche Eltern, die selber in sozialen Netzwerken aktiv sind, gehen offensiv mit den Profilen um - und machen sie zu Gedenkseiten für Freunde und Mitschüler. So wie Maria Lehnart* aus Trier: Nach dem Selbstmord ihrer 21-jährigen Tochter Hannah* suchte sie auf Facebook nach Antworten. Da sie das Passwort kannte, hatte sie Zugang zum Profil. Im Netzwerk fand sie unerwarteten Beistand: "Mit einigen von ihren Freunden schreibe ich jetzt auch Nachrichten", sagt Lehnart. Auch bei der Trauerarbeit habe ihr das Netzwerk geholfen, da sie sich dort in virtuellen Gruppen mit anderen Nutzern zusammenschließen könne, die Ähnliches erlebt haben.
Jeden Morgen ein Gedicht

Das Profil von Hannah hat sie erhalten, bis heute. Sie will es auch weiterhin nicht löschen lassen, "weil damit irgendwie ein Teil von ihr noch da ist", wie sie sagt. Jeden Morgen schreibt sie ihrer Tochter ein Gedicht auf die Pinnwand. "Das mache ich für mich. Ich kann ihr etwas geben, und es geht mir besser." Das Profil ist seit dem plötzlichen Tod vor knapp drei Monaten zu einem digitalen Kondolenzbuch geworden. Auch Hannahs Freunde hinterlassen dort noch Nachrichten.

Allerdings möchte ihre Mutter Facebook nichts über den Tod ihrer Tochter sagen - aus Furcht, dass persönliche Daten von Hannah wie Statusmeldungen und Fotokommentare damit unwiederbringlich verloren gehen könnten. "Ich will nicht, dass sie das Profil irgendwann löschen oder ich keinen Einfluss mehr darauf habe", sagt sie. "Löschen ist so endgültig. Als ob man meine Tochter ausradieren würde."

* Namen von der Redaktion geändert.

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