Japans Botschafter spricht Klartext

Trier · Japans Botschafter in Deutschland, Takahiro Shinyo, hat sich am Dienstag ins Goldene Buch der Stadt Trier eingetragen. Im Interview mit dem Trierischen Volksfreund stellt er sich Fragen zur Sicherheit und Zukunft der Atomkraft in seinem Land und räumt Schwierigkeiten bei der Verwaltung der Spendenmillionen nach dem Erdbeben ein.

Er sei grundsätzlich kein Fachmann für Atomkraft, sagt der 61-jährige Professor der Rechtswissenschaften, der Japan seit 2008 als Botschafter in Deutschland vertritt, im Gespräch mit Volksfreund-Redakteur Jörg Pistorius. Die Katastrophe vom 11. März (siehe Extra) habe aber vor allem eines gezeigt: So wie bisher geht es nicht weiter.

Wie haben Sie die Ereignisse vom 11. März erlebt?
Takahiro Shinyo: Wie Millionen anderer Menschen habe ich die schrecklichen Bilder im Fernsehen gesehen und war schockiert. Ich bin enorm beeindruckt von der Anteilnahme und Hilfsbereitschaft der Menschen in Deutschland. Ich musste mich natürlich öffentlich zur Lage der Dinge äußern und auch im Fernsehen auftreten. Das war schwer für mich.

Warum?
Shinyo: Japan wurde im März von einer Kombination aus drei Katastrophen getroffen: das Erdbeben, die Flutwelle und die Situation in den Kernkraftwerken. In Deutschland konzentrierte sich das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit allerdings sehr schnell auf die Atomkraftwerke. Doch die Lage war und ist sehr viel komplexer. Ich habe die Informationen aus Japan weitergegeben und alles gesagt, was ich dazu erzählen konnte.

Viele Menschen und Institutionen in Deutschland haben hohe Summen gespendet. Kommt dieses Geld dort an, wo es gebraucht wird?
Shinyo: Das Ausmaß dieser Katastrophe ist so groß, dass wir in dieser Hinsicht über keine Erfahrungen verfügen. Viele der Stellen, die für die Verteilung der Spenden zuständig wären, sind ebenso zu Opfern des Erdbebens und der Flutwelle geworden. Ganze Städte wurden zerstört. Wir haben jetzt einen Mangel an Bürokraten, die diese Abläufe verwalten sollten.

Eine schwierige Situation. Gehen Spendengelder verloren?
Shinyo: Nein. Auch in einer solchen Situation können wir garantieren, dass Spendengelder über Organisationen wie das Deutsche Rote Kreuz, die Diakonie und andere ankommen und gut verwaltet werden. Ob sie rechtzeitig und schnell genug dort angekommen sind, wo sie dringend gebraucht wurden, muss man natürlich klären. Es hat in der Tat länger gedauert, diese Gelder zu verteilen, als man ursprünglich gedacht hat. Schließlich musste zuerst genau ermittelt werden, welche Menschen und Regionen den dringendsten Bedarf an Hilfsmitteln hatten. Ich bin informiert worden, dass die Spenden auf einer Basis der Fairness verteilt worden sind.

Die Debatte um die Sicherheit der Atomenergie wurde vor allem in Deutschland zum politischen Faktor.
Shinyo: Das ist zunächst einmal kein Vergehen, sondern eine Reaktion, für die ich Verständnis habe. Allerdings hat die Kernenergie in Japan eine völlig andere Bedeutung als in Deutschland. Wir haben keine Energieressourcen. Ein sofortiger Atomausstieg ist deshalb nicht konsensfähig, denn wir können unseren hohen Strombedarf nicht von außen beziehen.

Dennoch stellt sich die Frage, ob und wie intensiv Japan an der Sicherheit seiner Atommeiler arbeiten wird.
Shinyo: So, wie es gewesen ist, geht es nicht weiter. Es werden keine neuen Kraftwerke gebaut. Wir werden die Lage sorgfältig prüfen. Von unseren 54 Kraftwerken sind nur zwölf in Betrieb. Die anderen wurden zerstört oder werden zurzeit einem ausführlichen Belastungstest unterzogen.

Die Katastrophe: Ein Erdbeben der Stärke 9.0, dessen Epizentrum vor Japans Ostküste lag, erschütterte den Inselstaat am 11. März. Das stärkste Beben seit Beginn der Aufzeichnungen löste eine zwischen zehn und stellenweise 30 Meter hohe Flutwelle aus. Bis heute meldet die Polizei fast 16 000 Todesopfer, mehr als 4000 Menschen gelten weiter als vermisst. Hunderttausende Gebäude stürzten ein, das Verkehrsnetz Japans wurde schwer beschädigt. Millionen Haushalte waren ohne Strom und Wasser. Die Folgen des Erdbebens verursachten eine Serie von Not- und Störfällen im Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi. Vier der sechs Reaktorblöcke wurden zerstört, große Mengen an Radioaktivität wurden frei. Auf der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Unfälle steht Fukushima mittlerweile auf einer Stufe mit Tschernobyl. jp

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