Jonas und das Weihnachtswunder

Trier · Sie klingt wie ein Weihnachtsmärchen und ist doch wahr – die Geschichte, die ein Polizeibeamter aus der Region dem TV erzählt hat. Sie hat sich just in der Nacht zum Heiligen Abend in einer Kleinstadt im Land abgespielt. Alle Namen und die genauen Daten haben wir aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geändert.

 Das Foto zeigt ein Kirchenfenster in der Abtei Himmerod, das von der Geburt Christi erzählt. Zu sehen sind das Jesuskind, Maria und Josef sowie Ochs und Esel im Stall zu Bethlehem.

Das Foto zeigt ein Kirchenfenster in der Abtei Himmerod, das von der Geburt Christi erzählt. Zu sehen sind das Jesuskind, Maria und Josef sowie Ochs und Esel im Stall zu Bethlehem.

Foto: Klaus Kimmling

Seit 24 Jahren bin ich Polizeibeamter. Für mich war das, was ich in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember 2004 erleben durfte, ein kleines Weihnachtswunder.

In der Dienststelle waren wir in weihnachtlicher Vorfreude, weil wir ein dienstfreies Weihnachtswochenende vor uns hatten. Wir hofften auf eine ruhige Nacht. Gegen 23 Uhr fuhr ich mit einem Kollegen Streife - in der Hoffnung, der Abend würde weiter so ruhig verlaufen wie bisher. Diese vorweihnachtliche Stimmung wurde jedoch keine Viertelstunde später jäh gestört, als uns ein Funkspruch der Dienststelle erreichte. Wir bekamen den Auftrag, ein Haus in der Innenstadt aufzusuchen. Dort sei der Notarzt im Einsatz, weil es zur Totgeburt eines Säuglings gekommen sei, hieß es. Das Notarztteam äußerte jedoch Bedenken an der Erzählung der Mutter, so dass die Polizei hinzugezogen wurde. Wie sich jeder wohl vorstellen kann, sind genau das die Einsätze, auf die man gerade an Weihnachten lieber verzichten möchte. Gegen 23:20 Uhr trafen wir am Einsatzort ein. Vor Ort waren bereits die Notärztin und drei Rettungssanitäter im Einsatz. Die Notärztin gab uns eine kurze Lageeinweisung, musste jedoch mit der Kindsmutter umgehend ins Krankenhaus, da diese bei der Geburt einen hohen Blutverlust erlitten hatte.

Mutter muss sofort in die Klinik

So wurde uns nur kurz geschildert, dass die junge Mutter auf der Toilette im elterlichen Haus ohne fremde Hilfe einen Jungen geboren hatte. Sie verlor in der Folge mehrfach das Bewusstsein, bis ihre Mutter sie so vorfand und den Rettungsdienst verständigte.

Die Notärztin zeigte uns den Jungen, bei dem sie bereits nach ihrem Eintreffen am Einsatzort trotz intensiver Untersuchungen keine Lebenszeichen feststellen konnte. Der Neugeborene war in ein Badetuch gewickelt in der leeren Badewanne abgelegt worden. Der normal entwickelte Junge war komplett blau angelaufen und lag leblos in der Wanne. Die Notärztin war der Meinung, dass er bei der Geburt lebensfähig gewesen sei, so dass für sie die Todesursache ungeklärt wäre. Dieser Umstand bedeutet automatisch für die Polizei, dass wir ein Todesermittlungsverfahren einleiten müssen. Wir informierten den Kriminaldauerdienst.

Zwischenzeitlich waren die Rettungskräfte mit der Kindsmutter ins Krankenhaus unterwegs. Deren Mutter fuhr mit. Mein Kollege wartete vor dem Anwesen auf die Kriminalpolizei. Ich blieb beim Vater der Kindsmutter und ließ mir in der Küche die Abläufe des Abends schildern, um den entsprechenden Bericht anfertigen zu können.

Der Vater schilderte ausführlich die Lebenssituation seiner Tochter Jennifer, die vor etwa neun Monaten ihren ersten festen Freund kennengelernt hatte. Die Eltern waren gegen diese Beziehung. Aufgrund der häufigen Meinungsverschiedenheiten verschlechterte sich der Kontakt zur Tochter. Vor ein paar Monaten sei dann die Beziehung zu ihrem Freund zu Bruch gegangen, erzählte der Vater. Jennifer zog sich jedoch immer mehr zurück. Zwischenzeitlich hatte sie eine Ausbildung als Arzthelferin begonnen, hatte aber wenig Kontakt nach außen und blieb oft zu Hause. Sie wohnte im Dachgeschoss bei den Eltern in einer separaten Wohnung.

Der Vater schilderte weiter, dass seine Tochter am Morgen des 23. Dezember über Magenprobleme geklagt habe, weshalb sie den Hausarzt aufsuchte, der sie ein paar Tage krankschrieb. Vermutungen ihrer Mutter im Vorfeld, dass Jennifer schwanger sei, wurden von ihr vehement bestritten. Im Laufe des Abends ging sie wegen der Magenerkrankung früh zu Bett. Gegen 23 Uhr fiel ihrer Mutter auf, dass die Toilettenspülung im Dachgeschoss sehr oft betätigt wurde. Deshalb sah sie nach ihrer Tochter - und fand sie bewusstlos im Bad des Dachgeschosses. Ihr war sofort klar, dass Jennifer ein Kind zur Welt gebracht hatte. Sie rief ihren Mann zur Hilfe, der nach kurzer Suche das neugeborene Kind leblos im Bettkasten fand. Die herbeigerufene Notärztin konnte keine Lebenszeichen bei dem Jungen feststellen, so dass sie ihn für tot erklärte.

Noch während den Erzählungen des Vaters beschlich mich eine innere Unruhe. Ich hatte das Gefühl, aus dem Badezimmer ein Geräusch wahrgenommen zu haben. Ich versuchte, meine innere Unruhe zu verdrängen, was mir jedoch nicht gelang. Irgendetwas beunruhigte und drängte mich, das Badezimmer mit dem toten Säugling erneut aufzusuchen. Um dem Vater eine plausible Erklärung abgeben zu können - wer schaut sich schon gerne einen toten Säugling zweimal an - erzählte ich ihm, dass ich wegen des entsprechenden Berichtes noch einmal nachschauen müsste.

Ich ging also ins Bad, öffnete das Badetuch und schaute mir den Jungen an. Es war 0.10 Uhr, also Heiligabend. Ich sah sofort, dass sich die Hautfarbe des Jungen verändert hatte. Die bläuliche Färbung war gewichen, der Junge war nun eher blass. Aus welchen Gründen auch immer, ich konnte den Blick nicht abwenden. Nach etwa einer halben Minute glaubte ich bemerkt zu haben, dass sich der Brustkorb des Jungen etwas gehoben hatte.

"Ich traute meinen Augen nicht"

Ich traute meinen Augen nicht. Der Mund des Babys war mit einer leichten Speichelschicht belegt. Als ich sie wegwischte, bildete sich sofort eine neue. Ich war mir plötzlich ganz sicher, dass der Junge atmete. Ich rief sofort meinem Kollegen zu, dass er den Notarzt verständigen solle. Zwischenzeitlich trafen die Kriminalbeamten ein, die von einem Amtsarzt begleitet wurden. Eigentlich sollte dieser die Todesursache des Babys herausfinden - nun stellte auch er Lebenszeichen fest. Der Junge wurde sofort warm verpackt, der Kindernotarzt kam, und der Junge wurde in eine Kinderklinik eingeliefert.

Jonas wird an diesem Weihnachtsfest sieben Jahre alt. Er hat keine bleibenden Schäden davongetragen und lebt mit seiner Mutter bei seinen Großeltern.

Der Autor, Ralf O., ist 41 Jahre alt und Polizeihauptkommissar. Er lebt in einem Dorf in der Region Trier.

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