Kampf und Schmerz

TRIER. Hauptbrandmeister Wolfgang Bösen kämpft als 53-Jähriger noch immer mit den Flammen - und mit sich selbst. 20 Jahre lang hat er schwerste Einsätze mit dem Notarztwagen begleitet. Er stand beim großen Leyendecker-Brand auf der schmelzenden Drehleiter, hat viel Tod und noch mehr Schmerz gesehen. Der (Dienst-)Älteste aus der Wachabteilung führt durch das Feuerwehrleben.

Die Brandbekämpfer sind gelernte Autoschlosser, Heizungsbauer, Klempner, Elektriker, Schreiner und Maurer - "alles nützliche Berufe", sagt Hauptbrandmeister Wolfgang Bösen. Denn gewartet, repariert und gepflegt wird der Feuerwehrapparat von den Einsatzkräften selbst. Er habe Elektromaschinenbauer gelernt, bevor er 1970 zur Feuerwehr kam, erzählt der Mann, dessen eine Pupille seit ein paar Jahren starr geweitet ist: "Normalerweise eine Folge von Hirnblutungen", sagt er lapidar - bei ihm sei der Grund ungeklärt. Gedanken darüber, wie hart der Beruf ist, habe er sich am Anfang seiner Laufbahn nicht gemacht. "70 bis 80 Prozent der Arbeit hier ist Rettungsdienst", berichtet Bösen. "Manche halten das nicht aus." 1976 sei er als erster Feuerwehrmann in Trier mit dem Notarztwagen ausgerückt. "Das war die schwerste Zeit meines Lebens", sagt er, "manchmal habe ich drei oder vier Tote und Sterbende in einer Schicht geholt." Psychologische Hilfe gab es keine. "Das musste jeder mit sich selbst abmachen. Man wird hartherziger", meint der grau melierte Mann, den alle hier "Wolf" nennen, "man kann ja nicht mit jedem mitsterben." Er habe damals angefangen, aufs Rad zu steigen, einfach weg zu fahren. Reden konnte er nur mit seiner Frau. Nach 20 Jahren Rettungsfahrten ging es nicht mehr. Auch mit den Feuerwehreinsätzen sei es nicht immer einfach, klar zu kommen: "Ich kann die Probleme aus dem Dienst nicht mit der Jacke abgeben", sagt der 53-Jährige. Nachts gehe ihm alles durch den Kopf, oft habe er nicht schlafen können. "Es geschehen so unvorstellbare Dinge", und die Feuerwehrleute seien schließlich als Erste da. Er erinnert sich an eine Familie, die mitten in einer Vollmondnacht plötzlich in die Mosel gefahren sei. Vater, Frau und ein Kind konnten sich retten, das zweite Kind ertrank vor deren Augen. "Und dann kommen Sie und können auch nicht mehr helfen. Das macht müde. Ich war morgens oft wie gerädert." Maschinist und Fahrer Winfried Wagner kommt herein und erzählt im Vorbeigehen, wie er allein vor Ort war - mit einem ertrunkenen Kind. Die Schlauchwerkstatt ist sein Reich: Unterirdisch dümpeln die dicken blassen Gummiröhren in einem langen Kanal, während er prüft und flickt, säubert und rollt. Daneben im Atemschutzareal kämpfen sich zwei Männer durch ihren jährlichen Leistungstest. Thomas Reinholz und Daniel Quint haben nur für eine halbe Stunde Luft im Tank hinter der Gasmaske, müssen Endlosleiter, Gewichte und Laufband meistern. Wie bei jedem echten Brandeinsatz ziehen die beiden schwer und laut die gespeicherte Luft in die Lungen. "Auch bei kleinen Bränden können sehr gefährliche Atemgifte frei werden", erklärt Bösen. Und dann wird die Übung richtig ungemütlich: Ein Gang führt die beiden in die absolute Dunkelheit. Tastend, an eingezogenen Gittern entlang in einem engen Saal bewegen sich der 27-Jährige und der 37-Jährige Feuerwehrmann voran, schmale Treppen hinauf, flach auf dem Boden unter großen Vorsprüngen hindurch, ein enges Rohr passierend. Reinholz rinnt auf der zweiten Runde über den Geräteparcours der Schweiß in Sturzbächen von der Stirn. "Beim Einsatz ist es noch härter", sagt er keuchend. "Die Belastung ist enorm, wenn man helfen will und nichts sieht, nicht weiß, was kommt." Im Ausrüstungsraum riecht es nach Feuer. Unter einigen Sohlen der Spezialstiefel hängt noch Ruß. Mehr oder weniger feuerfeste Überhosen baumeln an den Schäften. Hier hetzen die Männer in Windeseile durch, schnappen Jacke, Helm, Schutzmasken, Sicherheitsgurte und Feuerwehrbeile. "Früher sind wir noch mit dünnen Jacken und Jeanshosen ins Feuer gegangen", erinnert sich Bösen, als plötzlich die Alarmglocke ins Ungewisse ruft.

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