"Kein Handbuch für den Super-Gau"

Trier/Sendai · Nach einer erfolgreichen Soforthilfeaktion arbeitet die Deutsch-Japanische Gesellschaft Trier an einem langfristigen Projekt: Sie stellt den Tsunami-Opfern in den Notquartieren der japanischen Region Sendai Gebrauchtwagen zu Verfügung. Insgesamt hat der Verein bereits mehr als 100 000 Euro gesammelt.

Trier/Sendai. Dass es einmal nötig wäre, für die Industriemacht Japan in diesem Maß Spenden zu sammeln - damit hatte auch Johann Aubart nicht gerechnet. Der Präsident der Deutsch-Japanischen Gesellschaft (DJG) Trier war nach dem großen Tsunami, der im März 2011 auf die ostjapanische Küste traf, in einer einmaligen Lage. "Im Gegensatz zu den 50 weiteren Deutsch-Japanischen Gesellschaften in Deutschland durften wir sofort Geldspenden annehmen", erklärt Aubart im TV-Gespräch.
Hintergrund der Sonderstellung: In der Trierer Partnerstadt Nagaoka kam es 2004 zu einem gewaltigen Erdbeben. "Schon damals änderte die DJG Trier ihre Satzung und begann mit dem Sammeln von Spenden", erzählt Aubart.
Nach dem Tsunami im Frühjahr rief Aubart wieder zu Spenden auf. Insgesamt 100 000 Euro brachte die DJG in Trier bisher zusammen. "Wir bedanken uns bei allen für die großzügige Hilfe", sagt der 71-Jährige. "Im anfänglichen Chaos mussten wir genau prüfen, wo wir die Spendengelder am besten hingeben", erinnert sich Aubart. "Es gab kein Handbuch für den Super-Gau."
Verstörende Eindrücke


Dank seiner guten Kontakte ins Land der aufgehenden Sonne fand der umtriebige Vereinspräsident dann aber doch ein passendes Hilfsprojekt: "Eine Schule in Nagaoka hatte 120 Kinder aus dem Katastrophengebiet aufgenommen. Niemand wusste, wo ihre Eltern waren - oder ob die überhaupt noch lebten."
Die DJG kaufte von den Spenden Fußbälle und Rucksäcke. Dort hinein packten die Mitglieder notwendige Alltagsdinge: Stifte, Hefte, Lineale und sogar Hemden und Handtücher. "Und als besonderes Bonbon einen japanischen Reiseführer über Trier", erzählt Aubart und ergänzt lachend: "Am meisten haben sich die Kleinen trotzdem über die Fußbälle gefreut."
Im Mai reisten Aubart und seine Ehefrau Margarethe (59) nach Japan. In der Stadt Koriyama besuchten sie eines der Notlager: "Es waren verstörende Eindrücke. Die Menschen wohnten in einer Turnhalle hinter Kartonwänden."
Bis in die 30-Kilometer-Sperrzone um das kollabierte Kernkraftwerk von Fukushima kamen die Trierer: "Es gab keine Häuser mehr und keine Straßen. Die Notunterkünfte lagen einsam in Wüsten von Schutt."
Zusammen mit dem Geschäftsmann Hanns-Henning Judek (55), der seit 31 Jahren in Japan lebt, startete Aubart eine neue Initiative: "Wir haben eine gemeinnützige Gesellschaft gegründet, die gebrauchte Autos kauft und an Familien in den Notunterkünften verleiht - eine Art Car-Sharing für Notleidende." Das neuartige Hilfskonzept heißt Docodemo Ecocar. "Doco ist Japanisch und bedeutet ‚Zukunft\'. Man könnte also sagen, dass unsere Autos einen Weg in die Zukunft zeigen", schwärmt Aubart.
Die Gesellschaft übernimmt dabei auch die laufenden Kosten für Benzin, Versicherung, Steuern und potenzielle Reparaturen. Für die Flüchtlinge ist die Benutzung der Autos gratis - aber natürlich müssen sie sie mit vielen Leidensgenossen teilen.
Zwölf Kilometer zum Einkaufen


Für ein Hotel, das 500 Menschen notdürftig beherbergt, stellte Docodemo bereits sechs Autos bereit. Es ist praktisch das einzige Haus in der kleinen Hafenstadt Minamisanriku, das noch steht. "Um zum nächsten Geschäft zu kommen, müssen die Menschen zwölf Kilometer zurücklegen. Zwölf Kilometer durch eine menschenleere Ruinenlandschaft, die vorher ihre Stadt war", erklärt Aubart.
Bis zu zwei Jahre lang müssen die Flüchtlinge in den Quartieren ausharren. Erst dann können wirklich alle mit Häusern und Wohnungen versorgt sein: "Wir hoffen, dass wir ihnen ihr Leben bis dahin ein bisschen erleichtern können."

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