Kein Hochwasserschutz ist absolut

Wie vergleicht man Jahrhunderthochwasser, wenn die Pegelaufzeichnungen nur 200 Jahre in die Vergangenheit reichen? Darüber hat sich Professor Joachim Sartor von der Fachhochschule Trier Gedanken gemacht. Er arbeitet an einem Projekt, das sich mit diesem Thema befasst.

 Historische Hochwassermarken haben Professor Joachim Sartor bei seiner Forschungsarbeit Aufschluss über Hochwasser gegeben, die Jahrhunderte zurückliegen. TV-Foto: Annegret Schmitt

Historische Hochwassermarken haben Professor Joachim Sartor bei seiner Forschungsarbeit Aufschluss über Hochwasser gegeben, die Jahrhunderte zurückliegen. TV-Foto: Annegret Schmitt

Trier. Als das Wasser der Mosel 1993 über die Ufer stieg, erwischte es die Menschen eiskalt. Zwar war die Höhe von 11,28 Metern nahezu korrekt vorhergesagt worden, doch mit solchen Wassermassen hatte niemand Erfahrung. Zu schnell war die Mosel angestiegen. Bei den Menschen in der Region ging das Hochwasser des Jahres 1993 als Jahrhundertereignis ein. Doch das nur, weil es das höchste Hochwasser des Jahrhunderts war, sagt Joachim Sartor, Professor für Wasserwirtschaft und Wasserbau an der Fachhochschule Trier. "Ein hundertjährliches Hochwasser war es jedoch nicht."

Zu diesem Schluss kommt der Wissenschaftler aufgrund einer Studie, an der er seit zwei Jahren arbeitet. Darin hat er die größten Hochwasser-Ereignisse der vergangenen Jahrhunderte miteinander verglichen. Aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, war dabei gar nicht so einfach. "Das Problem ist, dass die offiziellen Pegelaufzeichnungen erst seit 1817 geführt werden", sagt der Professor. Um diese Aufzeichnungen in die Vergangenheit zu verlängern und somit mehr Vergleichsmöglichkeiten zu schaffen, haben Studenten der Fachhochschule im Rahmen ihrer Diplomarbeiten historische Hochwassermarken in verschiedenen Moselgemeinden abgelesen und eingemessen. "Eine Hochwassermarke allein hat nur begrenzt Aussagekraft", sagt Sartor. Alle Hochwassermarken miteinander verglichen, ergäben jedoch einen Längsschnitt, an dem man den Hochwasserspiegel entlang der Mosel ablesen könne. Zudem zogen Sartor und seine Studenten historische Berichte hinzu. "Die Preußen waren sehr penibel und hatten sogar ein eigenes Hochwasserverzeichnis."

Als Vergleichspunkt wurde der Pegel in Cochem genommen, da sich dort - im Gegensatz zu Trier - die Rahmenbedingungen nicht verändert hätten. "Eine vergleichbare Flut hätte vor 200 Jahren in Cochem das gleiche Ausmaß erreicht wie heute." So sei der Vergleich zwischen historischen und aktuellen Wasserständen vertretbar.

Keine Entwarnung für die kommenden Jahre



Die Studie sei zu dem Ergebnis gekommen, dass es vor Beginn der offiziellen Aufzeichnungen vier Überschwemmungen gegeben habe, die mindestens so groß waren wie jene von 1993: die in den Jahren 1573, 1651, 1740 und 1784 (siehe Hintergrund). Ein Trend ist laut Sartor nicht erkennbar - eine Verschlimmerung der Hochwasser lasse sich nicht feststellen. "Die harten Winter, die viel Schnee und Eis gebracht haben, haben nachgelassen", sagt er. "Es gibt nicht mehr diese großen Schneemengen, die schlagartig wegtauen." Zu dem gleichen Ergebnis seien Studien über die Oder (Hochwasser 1997) und die Elbe (Hochwasser 2002) gekommen.

Doch Entwarnung will der Wissenschaftler nicht geben. Das Hochwasser von 1993 werde als Jahrhunderthochwasser bezeichnet, weil es das größte Ereignis dieser Art sei, das die Menschen im vergangenen Jahrhundert erlebt haben. Im langjährigen statistischen Mittel sei es jedoch ein Ereignis, das alle 50 Jahre auftritt. "Weil die Leute denken, dass 1993 ein Jahrhunderthochwasser war, denken sie auch, sie hätten jetzt 100 Jahre ihre Ruhe." Das sei jedoch falsch. Man könne keine Entwarnung geben, nur weil längere Zeit nichts mehr passiert sei. "Einen absoluten Schutz gegen Hochwasser wird es nie geben." Extra Hochwasserschutz: In der Region sind nach Angaben der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord etliche Millionen Euro in den Hochwasserschutz geflossen. So sei für die Verbandsgemeinde (VG) Konz, insbesondere für die Ortslage Oberbillig, ein Hochwasserschutz erstellt worden, dessen Kosten sich auf rund 9,5 Millionen Euro beliefen. Eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Hochwasserschutz gibt es zwischen Ralingen (VG Trier-Land) und dem luxemburgischen Steinheim. Das Projekt mit dem Namen "Ökologisch orientierter Hochwasserschutz an der Sauer" erzielt den Schutz vor den Wassermassen ohne Mauern oder Wälle, sondern allein durch die ökologische Umgestaltung der Uferbereiche. Die Kosten liegen bei rund 6,1 Millionen Euro. Das Projekt soll 2011 abgeschlossen sein. Für die Sauergemeinde Langsur (VG Trier-Land) ist ebenfalls ein Hochwasserschutz in Planung. Auch hier wird mit der luxemburgischen Wasserwirtschaftsverwaltung zusammengearbeitet. Wann die Arbeiten beginnen, steht noch nicht fest. (ags)Hintergrund Das Hochwasser von 1784 ist die mit Abstand größte Überschwemmung, die Professor Joachim Sartor zufolge belegbar ist. Oft werde behauptet, es handle sich um einen Sonderfall, der aus dem Vergleich ausgeklammert werden solle. "Die Legende sagt, das Wasser sei nur so hoch gestiegen, weil es einen Eisstau gegeben habe", sagt Sartor. Den Eisstau habe es zwar gegeben: Die Mosel sei zugefroren gewesen, meterhoch habe Schnee gelegen. "Ein plötzlich einsetzender Starkregen hat riesige Wassermengen verursacht und das Eis auf der Mosel aufgebrochen." Das Eis sei abgetrieben und habe sich punktuell in den Moselwindungen verkeilt. Die so entstandenen Barrieren hätten sturzflutartige Überschwemmungen verursacht. Dies sei jedoch zu Beginn der Flut gewesen. "Ein Hochwasser braucht aber mehrere Tage, um seinen Höchststand zu erreichen", erklärt Sartor. Die Eisbarriere sei durch das nachfließende Wasser irgendwann zerbrochen. "Der Höchststand der Flut hatte also mit dem Eisstau nichts zu tun." (ags)

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