Kein Spaß beim Kassensturz in Trier

Trier · Trier gehört zu den zehn Großstädten mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung in Deutschland. Der Stadtrat gibt dem Minus-Haushalt seinen Segen, deshalb läuft der Laden weiter. Nur ein völlig neues System könnte die Talfahrt stoppen.


Dienstagabend um kurz vor 22 Uhr im Rathaus: Der Stadtrat nimmt den Nachtrag zum Doppelhaushalt für die Jahre 2017 und 2018 mit 50 Ja- und zwei Nein-Stimmen an, beide kommen von der FDP-Fraktion. Der Nachtragshaushalt ist eine Aktualisierung des bereits beschlossenen Doppelhaushalts. Das mehr als 700 Seiten starke Werk bestätigt ein weiteres Mal die hoffnungslos scheinende Talfahrt der Trierer Finanzen.

Das Minus

Der Fehlbetrag, das dicke Minus unter der Rechnung, liegt 2017 bei 22,6 Millionen Euro, 2018 sind es 32 Millionen Euro. Trier hat mittlerweile mehr als 800 Millionen Euro Schulden. Auf der bundesweiten Rangliste der Städte mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung steht Trier mit 6985 Euro auf Platz neun, die Spitzenreiter sind Oberhausen und Saarbrücken.

Die Fraktionen

Petra Kewes (Bündnis 90/Die Grünen) fasst in einem Satz zusammen, was wahrscheinlich die meisten Ratsmitglieder denken und empfinden: "Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zuzustimmen." Denn eine Ablehnung würde die Situation kein Stück verbessern, aber die Handlungsfähigkeit der Stadt im Alltagsgeschäft lähmen. Jürgen Backes (CDU) fordert, der Haushalt dürfe keine Wunschliste sein. Sven Teuber (SPD) kritisiert den Finanzplan als "Verschiebebahnhof" und fordert "einen Haushalt, der steuerbar ist". Theresia Görgen (Die Linke) spricht von einer "Lawine, die wir vor uns herschieben". Michael Frisch (AfD) bezweifelt ebenfalls, dass alle aufgezählten Investitionen umsetzbar sind.
Die FDP hat bereits den Doppelhaushalt abgelehnt und verweigert auch dem Nachtrag ihre Zustimmung. "Wir haben keine Wahl", sagt dagegen Hermann Kleber (UBT).

Die Kontrolle

Die Stadt mag hoch verschuldet sein und seit Jahrzehnten immer wieder neue Schulden machen - dennoch kann sie weiterhin agieren und investieren, solange sie bestimmte Spielregeln einhält. Die maßgeblichsten dieser Regeln kommen von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), die als Landesbehörde und Kommunalaufsicht den Trierer Haushalt überwacht. Stimmt die ADD zu, dann geht es weiter.

Die Kür

Besonders die sogenannten freiwilligen Leistungen der Stadt Trier lösen immer wieder heiße Diskussionen aus - sowohl zwischen Rat und Verwaltung als auch mit der ADD. Was sind freiwillige Leistungen? Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD) erklärt es in einem Satz: "All das, was unser Leben attraktiv macht." Beispiele: Stadtbibliothek, Musikschule, Volkshochschule, Sport, Vereine, freie Kunstszene, Jugendhilfe. Und das Theater, das fast ein Drittel aller freiwilligen Leistungen schluckt. Die ADD hat verfügt, der Zuschussbedarf der Stadt für ihre freiwilligen Leistungen dürfe die Grenze von 31,5 Millionen Euro nicht überschreiten. Doch für 2018 rechnet die Stadt mit 34,5 Millionen Euro. Ein Problem unter vielen.

Die Pflicht

Neben der Kür gibt es natürlich auch die Pflicht - die Masse an Aufgaben, die Trier per Gesetz übernehmen muss. Der riesige Sozialhaushalt zum Beispiel, ebenso die Investitionen im Hoch- und Tiefbau. Baudezernent Andreas Ludwig (CDU), der wie alle Dezernenten auch seine Abteilung eigenverantwortlich leitet, muss im Stadtrat einige Attacken einstecken. Vor allem SPD-Chef Sven Teuber kündigt an: "Herr Ludwig, wir werden Sie an Ihren Versprechen messen."
Ludwig hat das geplante Investitionsvolumen in seinem Dezernat im Jahr 2018 um mehr als 16 Millionen Euro erhöht und diesen Schritt damit begründet, dass viele Projekte, die 2017 nicht möglich waren, 2018 realisiert werden sollen. Die größte dieser Positionen ist die Mäusheckerhalle mit 5,4 Millionen Euro, gefolgt von der Integrierten Gesamtschule auf dem Wolfsberg mit 2,8 Millionen Euro (siehe auch Info). Mehrmals fragen Mitglieder der Ratsfraktionen nach, ob diese Pläne denn auch tatsächlich alle im Jahr 2018 umgesetzt werden können. OB Leibe unterstützt Ludwig: "Die Fachleute haben uns versichert, dass diese Investitionen leistbar sind." Die Umsetzungsquote geplanter Investitionen in der Stadt Trier lag in den vergangenen Jahren bei maximal 36 Prozent.

Die Einnahmen

Die Grundsteuern A und B, Vergnügungssteuer, Hundesteuer, Jagdsteuer, die neue Bettensteuer und hauptsächlich die Gewerbesteuer sind die Einnahmequellen der Stadt Trier. Die Gewerbesteuer liegt bei 64 Millionen Euro, insgesamt nimmt die Stadt 88,5 Millionen Euro ein. Zum Vergleich: Koblenz streicht allein über die Gewerbesteuer mehr als 100 Millionen Euro ein.

Der Fehler im System: Das sogenannte Konnexitätsprinzip besagt: Die Ebene, die für eine bestimmte Aufgabe zuständig ist, regelt auch deren Finanzierung. Wer bestellt, bezahlt auch. Doch der Bund und die Länder weisen den Städten und Gemeinden seit Jahren immer mehr Aufgaben zu, ohne die finanzielle Versorgung der Kommunen zu erhöhen.

Diese Investitionen plant die Stadt Trier
Trotz hoher Schulden gibt die Stadt hohe Summen aus. Der vom Stadtrat beschlossene Nachtragshaushalt umfasst Investitionen mit einem zusätzlichen Gesamtvolumen von mehr als 30 Millionen Euro. Die teuersten Projekte in dieser Liste sind der geplante Ersatzneubau der Mäusheckerhalle mit 5,4 Millionen Euro, die neue Stadtteilmitte im Stadtumbau West mit 1,8 Millionen Euro, die Übernahme der Flächen des Zweckverbands Wirtschaftsförderung im Trierer Tal nach dessen Auflösung (der TV berichtete) mit 3,7 Millionen Euro, der Grunderwerb zum Neubau einer Wache für die Berufsfeuerwehr mit 3,6 Millionen Euro und die IGS Wolfsberg mit 2,8 Millionen Euro.

Kommentar
Dieses System ist zu einer Farce geworden

Das kommunale Finanzsystem ist gescheitert. Die Gewerbesteuer als Haupteinnahmequelle ist längst keine Basis mehr, um alle Pflichten und freiwilligen Leistungen zu stemmen. Der Stadtrat hat kaum noch eine Chance, die Finanzpolitik seiner Stadt spürbar zu lenken. Stundenlange Debatten drehen sich um Marginalien, der Frust und teilweise auch die Überforderung vieler Ehrenamtspolitiker prägen das Bild. Die Profis im Rathaus haben ebenfalls kaum Grund zur Freude - für sie ist es bereits eine gute Nachricht, das jährliche Defizit der Stadt innerhalb von acht Jahren von 60 auf 20 Millionen Euro im Jahr zu senken. Das Land macht Vorgaben, die trotz aller Versuche nicht eingehalten werden können.
Jedes Detail ist mittlerweile zu einer Farce geworden. Die Parameter des System sind schon allein logisch und mathematisch unmöglich. Ein neues System muss installiert werden - mit einer stabilen Grundversorgung der Städte und Gemeinden.
j.pistorius@volksfreund.de

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