"Keine Kündigungen"

TRIER. Die Stadt erwartet 2006 ein Haushaltsdefizit in Höhe von 33 Millionen Euro. 2008 will Trier die kaufmännische Doppik einführen. Riesenschulden und eine enorme Umstellung – auf die Verwaltung kommen hohe Herausforderungen zu. Martin Junkernheinrich, Professor für Kommunal- und Regionalpolitik, konfrontiert die Kandidaten mit entscheidenden Fragen.

Die Stadt Trier finanziert ihre Aufgaben seit Jahren in hohem Maße über die Aufnahme von Krediten. Wie wollen Sie den städtischen Haushalt aus der Verschuldungsfalle befreien?Klaus Jensen: Ein Ausweg aus der bedrohlichen Situation ist nur dann möglich, wenn eine Gemeindefinanzreform mit verlässlichen Einnahmen kommt, die Pflichtaufgaben für Kommunen begrenzt werden. So ist zum Beispiel die Eingliederung von Mitbürgern mit Behinderung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch muss eine konsequente Sparpolitik auf der Grundlage von Kostenvergleichen im Rahmen einer kaufmännischen Buchführung betrieben werden. Eine öffentliche Debatte über Prioritäten muss dringend geführt werden, im Rat und mit der Bevölkerung.Ulrich Holkenbrink: Die Stadt Trier hat ein strukturelles Defizit. Die Ausgaben übersteigen die Einnahmen der Stadt, ohne dass sie große Einflussmöglichkeiten darauf hat. Und dies, obwohl Trier im Jahr 2006 die höchste Gewerbesteuereinnahme in ihrer Geschichte hat. Diese Einnahmen liegen 30 Prozent über dem Haushaltsansatz. Grund für das Minus ist die große Belastung durch den Sozialetat. Ursprünglich geplante Entlastungen (Hartz IV) führten zu Mehrausgaben. Die Sozialausgaben der Stadt Trier sind in den letzten 20 Jahren um 300 Prozent gestiegen. Wir brauchen eine weitere positive wirtschaftliche Entwicklung. Wichtig ist eine konsequente Aufgabenkritik und auch gegebenenfalls eine Aufgabenrückführung. Wir brauchen eine generelle Reform der Finanzarchitektur in Deutschland, hier besonders eine Reform der Gemeindefinanzen. Die Kommunen sind in den letzten Jahren mit neuen Aufgaben belastet worden, darunter die Bereitstellung von Kindergartenplätzen und die Grundsicherung. Bei welchen kommunalen Aufgaben müssen sich die Bürger auf einen Leistungsabbau einstellen? Wird Personal abgebaut?Holkenbrink: Es ist ein Skandal, dass durch gesetzliche Verpflichtungen Kommunen zunehmend gezwungen werden, sich mit dem Abbau von Leistungen zu beschäftigen, die für das kommunale Leben von Bedeutung sind. Ich unterstütze die Haltung des Stadtrates, dass die "freiwilligen Leistungen" verteidigt werden. Gleichzeitig ist natürlich ein weiterer Ausbau aufgrund der Finanzsituation nicht zu realisieren. Die Stadt Trier ist seit Jahren Modellstadt in Sachen Verwaltungsmodernisierung. Ziel ist eine schlankere Verwaltung, auch in der Zukunft. Wir können nach jahrelangem Konsolidierungskurs weiteren Personalabbau nur mit korrespondierenden Leistungskürzungen für die Bürger erreichen. Dies kann ich nicht vertreten.Jensen: Zunächst müssen die Abläufe in der Verwaltung an die veränderten Aufgaben angepasst werden. Die Kosten- und Leistungsrechnung wird zeigen, wo die Verwaltung zu teuer ist und die Hebel anzusetzen sind. Danach richtet sich die künftige Personalpolitik. Mit mir wird es aber keine betriebsbedingten Kündigungen geben. An welchen Stellen "Luft" im Haushalt ist, kann von außen nicht seriös beurteilt werden. Einen Leistungsabbau bei Kindertagesstätten und Schulen wird es bei mir nicht geben. Der Bürger und seine Familie stehen bei mir im Mittelpunkt. Im Jahr 2008 wird das alte kameralistische durch das neue kaufmännische Rechnungswesen ersetzt. Welche Vor- und Nachteile sind damit verbunden? Wie wollen Sie erreichen, dass aus besseren Informationen auch bessere Entscheidungen folgen?Jensen: Ich kann nur Vorteile erkennen. Unsere Leistungen werden vergleichbar. Vergleichbar mit der Privatwirtschaft, aber auch vergleichbar mit anderen Kommunen. So können wir uns über Kennzahlen mit anderen messen, aber auch fragen, wieso machen es andere günstiger. Davon lernen und profitieren alle. Durch die kaufmännische Buchführung können auch endlich die Bürger besser erkennen, was ihre Verwaltung leistet und was mit ihrem Geld umgesetzt wird. Diese Kontrolle erleichtert die Bürgerbeteiligung und führt zu besseren Entscheidungen in Rat und Verwaltung. Ziel ist der Bürgerhaushalt.Holkenbrink: Die Einführung der Doppik im Jahr 2008 führt zu einer Verbesserung der Informationen über die Leistungen der Verwaltung. Der Stadtrat, der Stadtvorstand, aber auch die Mitarbeiter erhalten umfassende Informationen zu den Leistungen. Auch der Vergleich mit anderen Städten wird möglich. Es wird auch deutlich, ob die private Wirtschaft Leistungen für den Bürger günstiger erstellt. Dies wird sicher auch zu einer Strukturveränderung innerhalb des Rathauses führen. Ich bin sicher, dass sich das Trierer Rathaus aufgrund der Qualität der städtischen Mitarbeiter dem zunehmenden Wettbewerb durchaus stellen kann. Ich weiß, dass damit auch ein zusätzlicher Aufwand für die Verwaltung verbunden ist. Jedoch ist der Mehrgewinn an Information über die tatsächlichen Finanzverhältnisse der Stadt ähnlich wie in der freien Wirtschaft dies wert. Die Stadt leidet unter einem großen Investitionsstau. Welche Maßnahmen halten Sie für geeignet, diesen Stau dauerhaft zu überwinden?Holkenbrink: Ein Investitionsstau ist in der Tat vorhanden. Es ist eine Katastrophe, dass durch die Belastung des städtischen Haushaltes keine freie Finanzspitze vorhanden ist. Bei den Kassenkrediten liegt Rheinland-Pfalz nach dem Saarland an zweiter Stelle. Ein trauriger Rekord. Dies führt zu dem Investitionsstau, der besonders im Bereich der Straßen, aber auch im Bereich der Schulen erkennbar ist. Langfristig ist dieser Stau nur durch eine Verbesserung der Haushaltssituation entscheidend zu erreichen. Im Haushalt müssen Überschüsse für Investitionen erarbeitet werden. Parallel gibt es auch Modelle, die auch privates Kapital mobilisieren. Dies ist beispielhaft in den Trierer Konversionsmaßnahmen erreicht worden. Für den Schulbereich verhandele ich derzeit über Contracting-Modelle.Jensen: Ein Patentrezept gibt es nicht. Durch das neue Haushaltssystem wird es erstmalig zu einer Inventur kommen, um das Vermögen - Gebäude und Straßen - zu erfassen und zu bewerten. Hierbei wird eine Prioritätenliste der Substanz und damit Vermögen erhaltenden Investitionen erstellt. Verwaltungsausgaben müssen zugunsten von Investitionen reduziert werden. Ebenso muss geprüft werden, wo Projekte in öffentlich-privater Partnerschaft für weniger Geld bei gleicher Qualität zu realisieren sind. Die Investitionskraft kann aber nachhaltig nur durch eine Finanzreform gestärkt werden. Die Stadt Trier erbringt als Oberzentrum viele kulturelle Leistungen für die Gesamtregion. Wie wollen Sie durchsetzen, dass auch die Umlandgemeinden ihren Finanzierungsbeitrag dazu leisten?Jensen: Die Stadt versteht sich zu Recht als kultureller Mittelpunkt der Region. Im Rahmen des neuen Landesentwicklungsprogramms wird es eine klare Aussage zugunsten von Trier als Oberzentrum geben müssen. Bei abnehmenden Bevölkerungszahlen im Umland kann es naturgemäß bestimmte Angebote nur in Trier geben. Dies hat das Land im Finanzausgleich für Trier künftig stärker zu berücksichtigen. Dort, wo die Einnahmen nicht ausreichen, hat sich das Umland zu beteiligen, will es das Angebot wahrnehmen. Wichtige Projekte sollten gemeinsam mit dem Umland realisiert werden.Holkenbrink: Wir werden insgesamt mehr zu einer regionalen Politik kommen müssen. Auch die demografische Entwicklung erfordert hier auf Sicht gesehen mehr Zusammenarbeit. Dies gilt für die kulturellen Angebote, aber nicht nur für sie. Es wird die Frage sicher gestellt werden, ob die Aufrechterhaltung bestimmter Angebote bei abnehmenden Bevölkerungszahlen auf Dauer nicht eine regionale Zusammenarbeit erforderlich macht. In Trier gibt es die "Spezialisierung" im kulturellen Bereich. Deshalb muss hier auch über die Finanzierung dieses Angebotes für die Gesamtregion in der Zukunft gesprochen werden. Dabei müssen wir den Partnern auch die Vorteile vermitteln, die eine Zusammenarbeit mit der Kulturstadt Trier konkret bringt. Weiterhin muss die Region frühzeitig an Planungen und auch Events beteiligt werden.

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