Serie „20 Köpfe aus 2000 Jahren“ Kino als Kunst des unauffälligen Details – Was einen französischen Regisseur mit Wittlich verbindet

Wittlich · Unter den ersten Soldaten, die 1951 in die französische Garnison Wittlich einrückten, befand sich auch ein sehr junger, sehr verzweifelter und wenige Jahre später sehr berühmter Rekrut: François Truffaut.

  Zwei junge Besucherinnen schauen sich beim Meister um:   Einen Nach  bau von Truffauts Arbeits­zimmer hat eine Ausstellung in der Cinematheque in Paris  präsentiert.

Zwei junge Besucherinnen schauen sich beim Meister um: Einen Nach bau von Truffauts Arbeits­zimmer hat eine Ausstellung in der Cinematheque in Paris präsentiert.

Foto: picture alliance / dpa/Yoan Valat

Vor 70 Jahren war der spätere Filmregisseur François Truffaut aus Frankreich als Soldat in Wittlich stationiert. Während das Militär seines Landes fast 50 Jahre – bis zum Abzug 1999 – in der Säubrennerstadt blieb, hielt es der künftige Neuerer des französischen Kinos nur sechs Monate dort aus.

Das Zitat geistert seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Varianten durch die Cineastenwelt: Filme zu drehen – das bedeute „schöne Frauen schöne Dinge machen zu lassen“. Sein angeblicher Urheber: François Truffaut (1932 – 1984), als Jugendlicher bereits Filmkritiker, später Mit­erfinder der „Nouvelle Vague“, der neuen Welle des französischen Films, Regisseur unter anderem von „Sie küssten und sie schlugen ihn“, „Jules und Jim“, „Fahrenheit 451“, „Die amerikanische Nacht“ oder „Der Mann, der die Frauen liebte“. Aber der Satz stammt nicht von ihm, sondern vom Chefredakteur der Filmzeitschrift „La Revue du cinéma“, Jean George Auriol. Truffaut zitiert ihn nur – in einem Brief an Eric Rohmer, damals ebenfalls noch Kritiker und Mit­begründer der Zeitschrift „Cahiers du Cinéma“: „Wenn Sie einen Film machen“, schreibt der erst 18-jährige Truffaut, „dann vergessen Sie nicht, dass das Kino ,die Kunst des kleinen, unauffälligen Details ist’ und dass es darin besteht, ,schöne Frauen schöne Dinge machen zu lassen’.“ Der Rest, ergänzt Truffaut, „ist nur Ästhetizismus“.

 Der französische Filmregisseur Francois Truffaut (1932 – 1984), aufgenommen im Oktober 1981.

Der französische Filmregisseur Francois Truffaut (1932 – 1984), aufgenommen im Oktober 1981.

Foto: picture alliance / dpa/Martin Athenstädt

Unterzeichnet mit „Trufo“, trägt das Dokument die Kopfzeile: „Wittlich, 7. Januar 1951“. Wittlich – wie kam er dorthin? Kino-Rebell Truffaut, als Junge ins Erziehungsheim gesteckt, gibt selbst die Antwort, in einem Interview mit Radio Canada: „Ich war erst 18, hatte noch zwei Jahre bis zum Militärdienst, es war die Zeit des Indochina-Kriegs, und ich schrieb mich ein.“ Er sei eben „ein bisschen verrückt“ gewesen damals. In einem weiteren Brief, ebenfalls in Wittlich verfasst, nennt Truffaut seinen Entschluss „das freiwillige Opfer von drei Jahren plus Indochina“.

 Dieses Kleid trug Schauspielerin Catherine Deneuve im  Film „Die letzte Metro“. In einer  Ausstellung der Pariser Cinematheque war es zu sehen.

Dieses Kleid trug Schauspielerin Catherine Deneuve im Film „Die letzte Metro“. In einer Ausstellung der Pariser Cinematheque war es zu sehen.

Foto: picture alliance / dpa/Yoan Valat

Das Opfer begann mit der Grundausbildung: Sechs Monate verbrachte Truffaut in der Säu­brenner­stadt. „Ich bin hier, in Wittlich, in der Hölle“, schreibt er an Rohmer. „Unglaubliche Disziplin, Über­anstrengung. Ich wage es nicht, mich krank zu melden. Ich bin hier nur einer aus dem Trupp und muss eine Beförderung erreichen, um mit etwas Rückhalt nach Indochina in Marsch gesetzt zu werden.“ Immerhin: „Die Schießübungen sind das Einzige, was mir Spaß macht.“ Und sie bringen ihm einen dauerhaften Hörschaden ein.

Disziplin und Durch­halte­vermögen wird er indessen nur als Filme­macher benötigen, denn Truffaut gelangt nie bis in die Schützen­gräben. Stattdessen landet er in Andernach: Nach der Grundausbildung mit Stationen in Baumholder und Idar-Oberstein wird Truffaut auf Manöver geschickt. Und dann in den Urlaub nach Paris, wo ihn seine eigentliche Leidenschaft einholt: das Kino. Filme habe er sehen müssen, sagt Truffaut, und der Wunsch, zum Militär zurückzukehren, sei schnell verschwunden. „Also ging ich einfach nicht mehr zurück.“ Der Deserteur wird gefasst, kahlgeschoren, in Handschellen nach Allemagne zurück­verfrachtet und in die Nerven­heil­anstalt Ander­nach gesteckt. Es folgt die unehrenhafte Entlassung. Begründung: „Charakter-Instabilität.“ Ein Schicksal, das auch seiner Filmfigur Antoine Doinel widerfahren wird. Die unglückliche Militärzeit fand damit zumindest ein fernes künstlerisches Echo.

 Im Jahr 2005 ist die ehemalige französische Kaserne in Wittlich abgerissen worden.

Im Jahr 2005 ist die ehemalige französische Kaserne in Wittlich abgerissen worden.

Foto: TV/Friedemann Vetter

Vielleicht hat er bereits etwas geahnt, als er an seinen Freund Robert Lachenay schreibt, ebenfalls aus Wittlich: „Kampf­anzug mitten in der Nacht. Im Schnee robben und ähnliche Scherze. Und doch hat das alles einen tieferen Sinn, von dem sogar die Vorgesetzten nichts ahnen, der aber von tieferer Bedeutung ist.“

Truffauts vermutlich letzter Wittlicher Brief, auch an Lachenay, stammt vom 21. Juni 1951. Der Entschluss zur Fahnenflucht steht fest: „Ich werde mich bald in der­selben Situation befinden wie Jean Gabin am Anfang dieses Films, der in Le Havre spielt“ („Hafen im Nebel“, mit Gabin als Deserteur). Und dann ist er fort. Truffauts letzte Zeilen aus der Eifel: „Wundere dich über nichts, vertraue mir, ich handele nicht unbesonnen. Bis bald.“

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