Klartext - Stadtrat im Internet: Nicht so spannend wie der Tatort, aber wichtig

Trier · Zum ersten Mal ist eine Sitzung des Trierer Stadtrats mit der neuen Technik im Rathaussaal live im offenen Kanal und im Internet übertragen worden. Natürlich lief nicht alles perfekt – aber zum Herummosern gibt es keinen Grund. Und für uns Bürger gibt es jetzt keine Ausreden mehr, findet Lokalredaktions-Leiter Michael Schmitz in seiner Kolumne "Klartext".

 Michael Schmitz

Michael Schmitz

Foto: Klaus Kimmling
 Live-Übertragung durch den OK 54, am Pult Sebastian Lindemans.

Live-Übertragung durch den OK 54, am Pult Sebastian Lindemans.

Foto: Friedemann Vetter

So sieht es im Rathaussaal aus? Da tanzen Ballerinas? Wer um 17 Uhr amDonnerstag den Offenen Kanal einschaltet oder sich in die Internet-Übertragung einwählt, der traut vielleicht erstmal seinen Augen nicht. Tatsächlich ist es aber nur eine Werbung für die Hänsel & Gretel-Inszenierung am Theater. Der Stadtrat hat Verspätung. Dann läuft die Sitzung, und den Ratsmitgliedern und dem Stadtvorstand ist die neue, ungewohnte Situation anzumerken. Bürgermeisterin Angelika Birk (Grüne), die die Sitzung in Vertretung von Oberbürgermeister Wolfram Leibe leitet, blickt ziemlich auffällig immer wieder direkt in die Kamera. Auch die Stadtratsmitglieder scheinen, wenn sie sprechen, etwas beeindruckt zu sein davon, dass sie nun zumindest theoretisch genau in diesem Moment quasi weltweit zu sehen sein könnten.

Nasebohren und Versprecher: Weltweit live im Netz

In der Tat ist es ja auch eine neue Situation: Zwar wurde schon immer jede Sitzung im Wortlaut protokolliert, aber es ist noch mal etwas anderes, wenn man weiß: Jeder Versprecher, jedes Gähnen, jedes heimliche Nasebohren kann jetzt plötzlich öffentlich sein. Wenn's schlecht läuft, sogar als anschließender lokaler Youtube-Hit. Die Kameras sind schließlich nicht nur auf den Redner gerichtet, sondern zwischendurch auch auf die anderen Ratsmitglieder. Nachdem FDP-Chef Tobias Schneider beispielsweise gerade gesprochen hat und ausführlich im Bild ist, zeigt CDU-Chef Udo Köhler amüsiert auf seinen Tablet-Rechner, wo er offenbar die leicht zeitverzögerte Übertragung verfolgt - nicht wissend, dass er selbst schon im Bild ist.

Zwar gerät manche Antragsbegründung etwas langatmig, aber richtige "Schaufensterreden" sind auch nicht häufiger als in anderen Sitzungen zuvor. Nicht alles läuft glatt, mal ruckelt im Internet das Bild, mal sind einzelne Redner schlecht zu verstehen. Für 20 Minuten hängt die Internet-Übertragung auch komplett, aber alles in allem ist das professionell gemachtes Stadtratsfernsehen. Der Stadtrat hat das Geld für die Technik zur Verfügung gestellt (19.000 Euro). Der offene Kanal stellt die ehrenamtlichen, höchst engagierten Mitarbeiter. Wer sich jetzt über diese Summe aufregt nach dem Motto "rausgeschmissenes Geld", der macht es sich zu einfach. Natürlich werden sich nicht Tausende von Bürgern nun auf einmal nur deshalb für lokale Politik interessieren, weil sie im Fernsehen und im Internet zu sehen ist.

Gut angelegtes Geld

Trotzdem sind die 19.000 Euro gut angelegt. In Zeiten, in denen populistische Parteien erfolgreich sind, weil sie über "die da oben" schimpfen und weil sie sich bewusst von denen absetzen, die Entscheidungen zu treffen haben, nimmt die Internetübertragung auch uns Bürgern die Ausreden. Wer sich wirklich für das Geschehen in seiner Stadt interessiert, der kann jederzeit die Enscheidungen mitverfolgen. Von der Couch aus oder sogar auf dem Smartphone. Nicht nur, während die Sitzung läuft, sondern auch später noch aus der Mediathek. Und wer das nutzt, der bekommt vielleicht auch etwas mehr Verständnis dafür, warum Entscheidungen so oder so ausfallen, der hört Argumente verschiedener Seiten, der erlebt Streit, aber auch Kompromissfindung und der sieht, wie komplex auch kommunale Entscheidungen sind. Vielleicht ist die Internetübertragung nicht nur ein Gewinn an Transparenz, sondern auch an Respekt gegenüber denen, die sich ehrenamtlich kommunal engagieren.

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