Klavier hinter Gittern

Klassische Musiker verirren sich selten in eine Haftanstalt. Doch das Konzert in der Jugendstrafanstalt Wittlich (JSA) wollte nicht nur unterhalten, es hatte einen pädagogischen Hintergrund. Denn fünf der Vortragenden waren jugendliche Insassen, die erstmals ihr frisch gelerntes Können vor Publikum präsentierten.

 Musik bewegt: Mit Klavierunterricht will die Jugendstrafanstalt Wittlich jugendliche Straftäter resozialisieren. TV-Foto: Mechthild Schneiders

Musik bewegt: Mit Klavierunterricht will die Jugendstrafanstalt Wittlich jugendliche Straftäter resozialisieren. TV-Foto: Mechthild Schneiders

Wittlich. (mehi) Sanft gleiten Kims Finger über die Tasten. Der 21-Jährige ist hoch konzentriert. Er kann "Für Elise" von Ludwig van Beethoven auswendig - und erhält tosenden Beifall von den rund 120 Zuhörern. Kim H. sitzt erst seit August am Klavier. "Er ist hoch begabt", urteilt seine Lehrerin Rosmarie Groth.

Dreimal in der Woche unterrichtet sie Kim und seine vier Kollegen, allesamt Anfänger, in Praxis und Theorie. Die Jungs sind keine leichten Fälle, sie sitzen als Strafgefangene in der JSA Wittlich. Vor allem um sie geht es bei diesem Konzert; die anschließende hochkarätige Klassikdarbietung ist schmückendes Beiwerk. Kim (Name von der Redaktion geändert), angehender Schlosser, übt jeden Tag, am Wochenende auch mal zwei Stunden. Dazu stehen das Klavier und ein Keyboard zur Verfügung. "Das ist keine Luxusveranstaltung", betont der stellvertretende Anstaltsleiter Robert Haase. Der Klavierunterricht ist Teil des pädagogischen Konzepts. "Wir wollen damit die Kompetenzen der jugendlichen Gefangenen für ihr Leben in Freiheit verbessern. Wir wollen Impulse geben für eine sinnvolle Freizeitgestaltung und zur Persönlichkeitsbildung." Und das funktioniert. "Die haben sich total verändert", berichtet Groth. "Ich wünschte mir, dass andere Schüler so viel übten wie die Jungs hier." Auch die jungen Sträflinge hat das Konzept überzeugt. "Mit Musik kann ich meine Gefühle ausdrücken", sagt Patrick. "Wenn ich schlechte Laune habe, spiele ich." Dann haue er auch mal etwas fester in die Tasten. Hinterher fühle er sich gut. "Das ist besser, als jemanden anzuschreien."

Das Anstalts-Klavier hat Georg Kern vom Trierer Musikhaus Reisser zur Verfügung gestellt. Die Klavierstunden werden von der internationalen Stiftung zur Förderung von Kultur und Zivilisation finanziert (siehe Extra). Anfangs seien alle skeptisch gewesen, berichtet Haase. Heute gebe es eine Warteliste.

Oliver (19) beginnt mit Offenbachs Barcarole. Das Tempo ist noch etwas langsam - der Hauptschüler spielt gerade erst drei Wochen. "Potenzial und Begabung", attestiert ihm Groth. Das Vorspielen der Klavierschüler ist ein Teil des Konzerts. Dann können die Jugendlichen auch von professionellen Musikern gespielte Klassik in Vollendung kennenlernen.

Der 21-jährige Patrick ist so fasziniert, dass er Pianist René Speer ständig auf die Hände schaut. Extra Die Internationale Stiftung zur Förderung von Kultur und Zivilisation in München wurde im Mai 1995 von Erich Fischer gegründet. Sie will Kunst und Kultur, insbesondere vernachlässigte Kompositionen und Komponisten aller Epochen sowie das Musikverständnis, vor allem bei Kindern, fördern. Eines ihrer Ziele ist es, Strafrecht und Strafvollzug humaner zu machen. Unter dem Motto "Musik hinter Gittern" bietet die Stiftung in 13 deutschen Frauen- und Jugendgefängnissen Musikunterricht und Klassikkonzerte an, um die Resozialisierung der Inhaftierten zu fördern und den hohen Rückfallquoten entgegenzuwirken. (mehi)

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