Kleine Auszeit in zweiter Kantine

Trier · Er ist Intendant des Trierer Theaters, Chef von rund 220 Mitarbeitern und seit dem Jahr 2004 in Trier: Gerhard Weber. Die Achterbahnfahrt der Gefühle auf dem Logensitz während der Premiere möchte er genauso wenig missen wie die Verschnaufpausen in der Studentenkneipe Astarix. Davon erzählt der 61-Jährige in unserer Serie.

Trier. Jeden Morgen habe ich das Glück, vom Geschnatter der Enten und Gänse geweckt zu werden, und aus dem Fenster blicke ich auf einen schönen Flecken Triers: Ich wohne in einem Haus am Nells Park. So starte ich in den Tag. Als Intendant bin ich für die Spielpläne und Engagements zuständig, etwa zweimal im Jahr führe ich selbst Regie, und ich bin Chef von rund 220 Mitarbeitern. Regisseur zu werden war übrigens erst mein dritter Berufswunsch. Ursprünglich wollte ich Germanistik und Geschichte studieren. Etwas untypisch: Meine Eltern sahen mich in der künstlerischen Ecke. Mein Vater war Steinbildhauer, und gemeinsam mit meiner Mutter führte er ein Natursteingeschäft in Hannover, meiner Heimatstadt. Zum einen glaube ich, dass meine Mutter, sie hatte starke künstlerische Ambitionen und konnte sie aufgrund der Kriegswirren nicht ausleben, hoffte, dass ich ihre Träume verwirklichen würde. Erster Eindruck war zwiespältig

Zum anderen weiß ich heute, dass meine Eltern mich und meine Talente sehr gut kannten und einzuschätzen wussten. Ich gab dem sanften Drängen nach und beschloss, Schauspieler zu werden. Voller Hoffnung war ich nach Wien gereist und nach der dritten vergeblichen Probe mit einem erfahrenen Schauspieler in einem Pensionszimmer war klar: Das ist es nicht. "Versuch es mal mit Regisseur!", dachte ich mir damals. Bereits am ersten Tag der Aufnahmeprüfung war beiderseitig entschieden: Das ist es! Nebenbei bemerkt: Meine Tochter Jessica ist 25 Jahre alt, und sie hat einen völlig anderen Weg eingeschlagen. Sie studiert Jura in Saarbrücken. Zurück zu meiner Studentenzeit: Ich studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Wien, und 1973 wechselte ich mit einem ersten Engagement ans Staatstheater Hannover. Ein Jahr später arbeitete ich als Assistent von Claus Peymann. Vor sieben Jahren bin ich nach Trier gekommen. Mein erster Eindruck war zwiespältig: "Ist diese Stadt nicht ein bisschen in der Ecke des nationalen Theatergeschehens", fragte ich mich. Denn viel Inspiration entnimmt man aus dem, was man in einer Stadt erlebt und sieht. Doch schnell lernte ich Triers Besonderheiten lieben und schätzen: Die Stadt liegt in der Mitte Europas, und durch die Nähe zu Luxemburg, Frankreich und Belgien konnte ich interessante Arbeitsverbindungen entstehen lassen. Die Geselligkeit der Trierer - man lädt sich ein, trinkt zusammen Wein und isst gerne zusammen - sowie ihre offene Kommunikation und dass sie immer die Form wahren, habe ich gerne. Ich liebe die Stadt mittlerweile sehr. Auch wegen der vielen reizvollen Ecken: sowohl entlang der Mosel als auch in der Stadtmitte. Besonders mag ich den Domfreihof mit dem Dom, von innen und außen. Er strahlt eine meditative Ruhe sowie Kraft aus. Lampenfieber in der Loge

Ein weiterer Lieblingsplatz ist mein Dienstplatz im kleinen "Adlerhorst" der Intendantenloge. Bei jeder Premiere sitze ich dort, ausnahmslos immer mit Lampenfieber. Denn die erste Aufführung entscheidet über Gedeih oder Verderb der Vorstellungsserie. Ich fiebere mit jedem einzelnen Künstler mit, die Verbindung zu ihnen ist in diesen Stunden außerordentlich intensiv. Einen weiteren Platz habe ich sehr schätzen gelernt: gemütlich sitzend auf einem Stuhl in der Studentenkneipe Astarix, vor mir ein Cappuccino mit aufgeschäumter Milch. Die Nähe zum Theater - das Astarix ist nur ein paar Schritte vom Bühneneingang entfernt - macht es möglich, mal kurz mein Büro zu verlassen und mir in dieser studentischen Atmosphäre eine kleine Auszeit zu nehmen. Manchmal verlegen wir auch künstlerische Sitzungen dorthin. Es bietet mir die Möglichkeit, sowohl Theaterbesuchern als auch Mitarbeitern in einem anderen Rahmen - halbprivat - zu begegnen. In der zweiten Jahreshälfte, ab dem 13. Oktober, wollen wir dort monatlich "One-Night-Stands" anbieten. Das heißt: Künstler moderieren und gestalten selbst einen Abend. Das Astarix ist für uns Theaterleute eine zweite Kantine. Und Trier ist für mich eine wunderbare Arbeitsstätte und ein wunderbarer Ort zum Leben. Aufgezeichnet von Katja Bernardy

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