Knappkuchen, Krippen und Hähnchen vom Schütz

Repräsentativ ist unsere Stadtteiltour durch Euren mit acht Stationen sicherlich nicht. Dafür ist der Ortsteil mit dem dörflichen Kern, dem größten Gewerbegebiet Triers und den Moselauen zu vielfältig. Viel mehr als die Summe aller Facetten machen allerdings ohnehin seine herzlichen, engagierten Bürger den Stadtteil aus.


I.

Chic sieht\'s aus, das neue Eurener Bürgerhaus. "Druckwerk" steht in grauen Lettern auf der renovierten Fassade. Doch bis das ehemalige Druckereigebäude in der Ottostraße zum Bürgersaal mit 200 Sitzplätzen und großer Bühne wurde, haben die Eurener einige Male umgeplant - und sich dabei als geschäftstüchtig und kreativ erwiesen. Das Gelände des alten Bürgerhauses hat der Kulturring - Dachverband der 17 Eurener Vereine - an die Gesellschaft verkauft, die dort ein Altenheim errichtet hat. Von den 500 000 Euro kauften die Vereine nicht nur das alte Druckhaus, sondern investierten auf einer Restfläche am alten Standort in den Neubau eines Sieben-Familien-Hauses. Insgesamt kostet dieser Bau rund zwei Millionen, der Kredit kommt von der Bank. "Aber sechs Wohnungen haben wir auch schon verkauft", sagt Ortsvorsteher Hans-Alwin Schmitz.
Seine Gemeinnützigkeit musste der Kulturring bei so viel Geschäftstüchtigkeit zwar aufgeben. In Zeiten knapper öffentlicher Zuschüsse haben die Eurener jedoch ihren eigenen Weg gefunden, Vereine und Kultur am Leben zu halten.

II.
Vom Bürgerhaus ist es ein kleiner Spaziergang bis zum Eurener Ortskern. Im Spilles angekommen, lockt eine Sitzbank zur Pause. "Öffentliches Ruheplätzchen" steht auf dem hübschen Holzschild daneben. Banklehne und Sitzfläche tragen bunte Strickumschläge. Das liebevoll renovierte Bauernhaus aus dem Jahr 1849 dahinter gehört Familie Schwarz. "Wir wollten einen gemütlichen Sitzplatz für die Öffentlichkeit schaffen", sagt Ulrich Schwarz. Die Bank stammt aus einem Altbestand, der Sohn fertigte das Schild, die Ehefrau die Strickpolster. Und tatsächlich: Die ehemalige Dreckecke, an der häufiger Hunde das Bein hoben, ist zum netten Verweilplatz geworden. Und ein weiteres Beispiel für bürgerschaftliches Engagement in Euren.

III.
Dort, wo fast ein Jahrhundert lang zwischen Hontheim- und Walter-Hauth-Straße die großen Gewächshäuser der Gärtnerei Blasius standen, haben Bagger den Boden aufgerissen. Vor sieben Jahren haben Heinz und Irmina Blasius den Familienbetrieb aufgegeben und nun das Baugelände an künftige Neu-Eurener verkauft.
1910 hatte Großvater Johann Blasius die Gärtnerei gegründet. Gurken, Tomaten, Blumenkohlsetzlinge lieferte er den Eurenern. In den 1930ern übernahm Heinrich Blasius den Betrieb, 40 Jahre später waren Heinz und Irmine an der Reihe. Statt Gemüse- gab\'s nun Blumen und Zierpflanzen.
Der Sohn macht nicht weiter. "Gott sei Dank", sagt Heinz Blasius. "Denn in Zeiten, wo Baumärkte und Discounter unsere Produkte für Pfennigsbeträge anbieten, lohnt sich so ein Familienbetrieb nicht mehr." Eine Tradition hält Irmina Blasius aber aufrecht: Zur Eurener Kirmes gibt\'s Knappkuchen. Dreieinhalb Pfund Mehl, 12 Eier, Zucker - die große Blechschatulle, die Irmina Blasius nur an Weihnachten und zur Kirmes herausnimmt, ist voll mit den kleinen, leckeren Küchlein. "Knappig wird\'s aber erst durch Hirschhornsalz", erklärt Irmina. Auch Ortsvorsteher Hans-Alwin Schmitz greift gerne zu. "Knappkuchen kennt man nur in Euren - aber leider gibt es nur noch wenige Frauen, die ihn backen."

IV.
Nach der Kirmes dürften wohl einige wieder froh gewesen sein, dass es ihn gibt: den Promilleweg zwischen Euren und Zewen. Der Ursprung des Namens ist nicht schwer zu erraten: Auf der schmalen, schlaglochreichen Asphaltstraße ist man sicher vor Polizeikontrollen, heißt es. Aber auch in voll fahrtüchtigem Zustand nutzen Autofahrer die Strecke gerne, etwa, um die Ampel an der Zewener Hauptstraße zu umgehen oder als Abkürzung bei einem Stau auf der Luxemburger Straße. Dabei ist auf der Strecke nur forst- und landwirtschaftlicher Verkehr zugelassen. "Und uns Eurener stört es auch gewaltig, wenn die ganzen Abkürzler durch unser Wohngebiet hier fahren", sagt Hans-Alwin Schmitz. Viel schöner als mit dem Auto über Tausende Schlaglöcher zu holpern ist es ohnehin, sich eine Handvoll Brombeeren von den wild wuchernden Hecken links und rechts am Wegesrand zu pflücken.

V.
Ebenfalls verboten, aber von der Stadtverwaltung seit Jahren geduldet, sind die vielen Gartenhäuschen, die zwischen Euren und Zewen, oberhalb des Promillewegs, im Wald stehen. "Das sind bestimmt 100, und rund ein Dutzend davon ist ständig bewohnt", sagt Ortsvorsteher Schmitz. Vom Holzverschlag Marke Eigenbau bis an Berghütten erinnernde, gemütlich aussehende Häuschen mit Gartenzäunen und Gardinen stehen links und rechts der Wege. In einigen Vorgärten parken Autos und Mofas, Kamine qualmen. Dazwischen Grünschnitt-Berge, Müllhalden, Holzverschläge.
Alle paar Jahre gerät die Schwarzbau-Kolonie in die Schlagzeilen: 2006 brannte nachts ein Wohnwagen mit angebautem Wintergarten ab. Ein Mann, der in dem Dauercamper übernachtet hatte, starb in den Flammen. Im März dieses Jahres erschoss - offenbar nach jahrelangem Nachbarschaftskrieg - einer der Kleingärtner einen anderen. Für Rettungsfahrzeuge sind die schmalen, teils zugewachsenen und holprigen Waldwege schwer zugänglich.
An das heiße Thema - sämtliche Häuschen sind ohne Genehmigung gebaut - traut sich im Rathaus allerdings seit Jahren keiner ran.

VI.
Mit Knüpfel und Zahneisen - spezielle Ausgaben von Hammer und Meißel - bearbeitet Steinmetz Daniel Stoller einen der Sandsteinpfosten am Haupteingang des Eurener Friedhofs. Nicht nur die alte Mauer wird fachmännisch restauriert, auch auf dem Gräberfeld selbst ist viel passiert: Die Wege sind instand gesetzt und die Treppenstufen ausgebessert. Das alte, schmiedeeiserne Tor ist gereinigt und neu befestigt. "Die Stadt hat zwar die Bestattungsgebühren empfindlich erhöht - aber dafür wird jetzt auch tatsächlich in die Instandhaltung des Friedhofs investiert", sagt Ortsvorsteher Schmitz.

VII.
Es riecht nach Holz, im Ofen lodern die Flammen, im Regal stehen Maria und Josef und andere Holzminiaturen, mit denen die großen Weihnachtskrippen, die Stephan Schmitz baut, dekoriert werden können. Und der 52-Jährige, der mit seiner Familie mitten im Eurener Wald wohnt, sieht mit seinem weißen Rauschebart, den Lederhosen und den strahlenden Augen auch selbst irgendwie ein bisschen nach Weihnachten aus. Das Wohnhaus und der große Schuppen gehörten ehemals zu einem seit Anfang des vorigen Jahrhunderts militärisch genutzten Schießstand. Da ist es irgendwie schön, dass die Adresse heute "Im Waldfrieden" heißt. 1996 hat sich die Familie Schmitz dort ihr kleines Paradies eingerichtet. Hühner, Kräutergarten, Obstbäume, Kaninchen dienen der Selbstversorgung. Auf einer nahen Weide stehen zwei trächtige Kühe. Außerdem gibt es auf dem Hof noch neun Huskys. Bis 2006 ist Stephan Schmitz internationale Hunderennen gefahren, Dutzende Pokale auf dem Kaminsims zeugen von seinen Erfolgen. Vor 13 Jahren wechselte die Leidenschaft: In jede der großen, mehrstöckigen Weihnachtskrippen - "Osttiroler Stil", wie Schmitz betont -, die in Landschaften aus Holz, Moos und Kork gesetzt sind, steckt er monatelange Arbeit. Im Advent verkauft Schmitz die Kunstwerke beim Weihnachtsmarkt im Konzer Freilichtmuseum Roscheider Hof.

VIII.
Unsere Stadtteiltour neigt sich ihrem Ende zu. Es ist später Nachmittag, und noch ist es ruhig im Gasthaus Schütz. Nur wenige Stunden später werden Theke und Tische voll sein, wie an fast jedem Abend, seit Peter Schütz die Gaststätte 1957 gegründet hat. Gestorben ist er im April 2010, mit 92 Jahren und mit Legendenstatus. Nicht nur den Eurener Kindern, die ihm halfen, die Steine für die Mäuerchen, Arkaden und Lauben im riesigen Garten hinter dem Hotel und Gasthaus zu schleppen, steckte er regelmäßig Geld zu. Sondern auch allen anderen, denen er eine Freude machen wollte oder die es nötig hatten. In den besten Zeiten gingen 1000 halbe Hähnchen pro Tag über die Theke. "Da kamen regelmäßig die Mitarbeiter von etlichen Betrieben im Gewerbegebiet und haben ganze Wagenladungen fürs Mittagessen abgeholt", erzählt Kellnerin Ulla Leistner. Und wenn die Kellner im Lokal nach einem vollen Wochenendabend, an dem sie den Gästen Hunderte Hähnchen serviert hatten, hungrig waren, aber kein Hähnchenfett mehr riechen konnten, dann bestellte Peter Schütz im noblen Eurener Hof für alle etwas anderes zu essen - hähnchenfrei. Heute führt Peter Schütz\' Neffe Detlef Zeimet den Betrieb. "Mein Onkel hat immer gesagt, dass sich jeder einen Abend bei uns leisten können muss", sagt er. Und so kostet der Viez immer noch nur 1,70 Euro. Außer halben Hähnchen stehen mittlerweile allerdings auch andere Gerichte auf der Karte, Salat Monte Carlo etwa und jede Menge Schnitzel, Steaks und Pizza. Womit die Hähnchen vor dem Garen mariniert werden, ist übrigens ein Familiengeheimnis. "Wie bei Coca-Cola - das Rezept kennt auch niemand auf der ganzen Welt", sagt Zeimet.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort