Knüppelharte Kicker-Kritik

TRIER. (mew) Triers kritische Jahrbuchschreiber (Katz e.V.) haben einen Autor an die Mosel gelockt, der mit messerscharfen Beobachtungen nicht nur die Fußballszene, sondern auch das Drumherum defiliert. Eine humorige Lesung, gespickt mit persönlichen Anekdoten, bot Einblicke in das Leben des ehemaligen Punks, der mittlerweile mit seiner Antirassismus-Arbeit für Wirbel im Kickerkosmos sorgt.

Was tun, wenn man mit Geschenken überhäuft, von der pompösen Eingangshalle fast erschlagen und Jetlag-geschädigt im Hilton Hotel in Argentinien eintrifft? Richtig: schlafen - auf dem Teppichboden! So geschehen im Falle von Gerd Dembowski, der 2001 - auch ohne eigene Kreditkarte - als hochoffizieller Redner zum Fifa-Kongress geladen wurde. Aber irgendwie ist (die funktionärsgespickte Fifa-Welt) eine Welt, die nicht so recht zu dem 34-Jährigen mit Wuschelhaar, Cargohosen und Schlabber-Shirt passen mag. Früher war er mal orange, erzählt er. Mittlerweile ist das Orange einem undefinierbaren Dunkelblond gewichen und statt unter Brücken oder in besetzten Häusern liest er nun in Kultureinrichtungen. Nur das am linken Ellebogen tätowierte Anarchie-A ist ein Relikt seiner Vergangenheit. Dembowski ist kein Demagoge, der mit Kniffen der Rhetorik die Kicker-Begeisterung in unermessliche Höhen treiben will - ganz im Gegenteil. So kurz vor dem Point-of-no-return in punkto Weltmeisterschaft, hat er die freche Kampagne "Vorrundenaus 2006" ins Leben gerufen. Von blinder Ballliebe kann also keine Rede sein. Und dennoch taucht er ein in die Tiefen der DFB-Funktionärswelten, träumt von seinem "ersten Mal" in Maradonna-Turnschuhen und durchleuchtet hemmungslos die häufig zutage tretenden Schwächen und Macken berühmter Männer auf dem grünen Rasen. Dabei werden nicht nur Paradebeispiele wie der das Englisch hartnäckig mit gruseligen Germanismen untergrabende Lothar Matthäus, die Frau des großen GMV, das "zentimeterdick lackierte Gestell, das mal seine Gattin war", Gerhard Meyer-Vorfelder höchstselbst im ständigen Kampf mit den hochprozentigen Verlockungen oder Horst Hrubesch, das Holzfällerhemdgestell, das erschreckend überzeugend zeigt, dass bei jedem Kopfball über 1000 Gehirnzellen sterben. In fein gestrickten Texten, die durchtränkt sind von seinem wunderbar schwarzen Humor gibt er auch Persönliches preis und erzählt vom nicht vorhandenen Vater und seinem Gunter-Gabriel-Syndrom. Er verknüpft mit seiner Verflossenen Melodien und einen dazu passenden Text über Countrylegende Johnny Cash. Plötzlich via Handy das Okay von der aktuellen Freundin, ein bisher nicht aufgeführtes (für sie geschriebenes) Liebeslied über den Bühnenrand schicken zu dürfen. Dembowski offenbart seine zaghafte, gefühlvolle Seite. Unendlich aufgeregt intoniert er das Stück a-capella, nestelt dabei nervös an seinem Reißverschluss, windet sich vor den hohen Tönen, kommt kurz aus der Puste. Da kann ihm auch die mit Gasmaske bestückte Quietsch-Ente auf der Schreibtischecke nicht helfen - aber genau das macht den Moment so rührend und zeigt, dass hinter dem "charmanten Plauderer" ein sehr emotionaler Mensch steckt.

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