Konflikt „Die meisten verstehen: Den Krieg macht allein Putin und nicht das russische Volk“ - Was Russen in Rheinland-Pfalz erleben

Knapp 11.000 Russen leben in Rheinland-Pfalz - fast doppelt so viele wie Ukrainer. Wie gehen ihre Landsleute hier angesichts des Krieges miteinander um? Eine Geschäftsführerin eines Pflegedienstes in Trier berichtet von ihren Erfahrungen in ihrem Team - in dem Russen und Ukrainer arbeiten.

Krieg in der Ukraine: Was Russen in Rheinland-Pfalz erleben
Foto: dpa/Victor

Der Überfall auf die Ukraine setzt zwei Flugstunden weiter westlich auch die in Rheinland-Pfalz lebenden Russen unter Druck. Unter ihnen sind Anhänger und Gegner von Präsident Wladimir Putin. Viele sitzen nun zwischen den Stühlen. Begegnungen zwischen den fast 11 000 Russen und rund 5500 Ukrainern in Rheinland-Pfalz sind nicht einfacher geworden. Auch offizielle Beziehungen zwischen dem Bundesland und Russland leiden.

Speyer etwa pflegt seit 1989 eine Städtepartnerschaft mit der russischen Stadt Kursk unweit der Grenze zur Ukraine. Die Vorsitzende des Freundeskreises Speyer-Kursk, Jutta Schumacher, bedauert: „Wir wollten eine Theatergruppe aus Russland im Juni hierher einladen. Aber jetzt ist da Stillstand. Meine Freunde in Kursk haben Putin recht gegeben.“ Für die Schauspielgruppe aus Kursk seien schon eine Ferienwohnung und Zuschüsse organisiert worden, sagt Schumacher. „Aber jetzt zweifele ich daran, dass das noch was wird.“

Sie bedauere den Krieg sehr und habe in Russland große Gastfreundschaft erlebt. „Ich war schon fast 30 Mal in Kursk“, berichtet Schumacher. Sie kritisiert auch den Westen: „Immer mehr Nato-Erweiterung in Osteuropa provoziert Russland. Es müsste mehr berichtet werden, wo auch die Nato steht.“

Nadezda Nelipa aus St. Petersburg lebt seit 28 Jahren in Deutschland und hat auch Verwandte in der Ukraine. Die Geschäftsführerin eines Pflegedienstes in Trier beschäftigt sowohl Russen als auch Ukrainer in ihrem Team. „Das ist alles sehr stark vermischt“, berichtet sie. „Fast jede dritte Familie hat auch Leute, die mal in der Ukraine gearbeitet haben oder da leben.“

Die Ukrainer in ihrem Team stünden jetzt natürlich unter Stress, weil viele nicht wüssten, was mit ihren Verwandten ist. „Jeder hat seine eigene Meinung.“ Größere Konflikte oder gar Anfeindungen gebe es aber nicht, auch nicht von den Kunden. „Die meisten verstehen: Den Krieg macht allein Putin und nicht das russische Volk.“ Viele, die anfangs gedacht hätten, der russische Präsident „macht Ordnung“, hätten inzwischen ein anderes Bild von ihm.

Krieg in der Ukraine: Was Russen in Rheinland-Pfalz erleben
Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Ihre Freunde in St. Petersburg und Moskau seien „sehr deprimiert, weil sie nicht wissen, wie das weiter läuft“, berichtet Nelipa. Viele, die irgendwie mit Export zu tun hätten, wüssten nicht, wo sie jetzt Arbeit finden können. „Sie fürchten, dass sie in ein paar Monaten keine Kunden mehr haben.“ Eine Bekannte etwa arbeite in einem Reisebüro in St. Petersburg. Erst seien die chinesischen Kunden wegen Corona weggeblieben und jetzt die Europäer.

Waldemar Malesam, der in Bad Kreuznach einen Lebensmittelmarkt mit russischen Spezialitäten betreibt, sagt: „Ich kenne keine Familie in der Ukraine, die keine Verwandten in Russland hat und umgekehrt.“ Viele seiner Kunden hätten Informationen nur von einer Seite, einige hätten Angst und es gebe auch mehr Spannungen. Auf die weiße Wand des Hauses eines Freundes, der auch russische Lebensmittel verkauft, hätten Unbekannte „Putin Mörder“ geschrieben. Die Polizei hat diese Parole auch noch an anderen Orten entdeckt.

„Dieses Problem ist zu groß und hat eine lange Geschichte von der Zarenzeit über die Sowjetunion bis zu dem, was nach dem Ende der UdSSR passiert ist“, sagt Malesam, ein Deutscher aus Russland. „Große Teile von der Ukraine, Weißrussland und Russland sind ein Volk, ein Land, eine Sprache, eine Mentalität, eine Religion.“ Krieg sei aber keine Lösung, betont der Lebensmittelhändler. Und die deutschen Waffenlieferungen bedeuteten jetzt noch mehr Tote. „Sie müssen reden, alle zusammen“, fordert er.

Gennadiy Smelyanskyy stammt aus Charkiw in der nordöstlichen Ukraine, lebt mit seiner Familie in Mainz und arbeitet als Ingenieur im hessischen Rüsselsheim. „Ich habe die Schwester meiner ukrainischen Frau mit zwei Töchtern an der ukrainisch-ungarischen Grenze abgeholt und fahre jetzt gerade in Österreich auf der Autobahn zurück“, sagt der Ukrainer am Montag.

Mit den zahlreichen Russen, die Smelyanskyy in Rheinland-Pfalz kennt, hat er sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. „Einer aus Mainz hat sich jetzt nach eineinhalb Jahren zum ersten Mal wieder gemeldet und mir sein Mitleid gezeigt“, berichtet der Ingenieur. „Auch einer aus Nieder-Olm hat mich gefragt, wie es mir geht.“ Ein dritter Russe in Mainz habe ihm auf seine Spendenbitte in sozialen Medien für die Ukraine geantwortet: „Bekommt ihr nicht genug Geld von den USA?“ Smelyanskyy hat dem Russen zurückgeschrieben: „Es geht nicht um Geld, sondern um meinen Vater, der in Charkiw jetzt im Keller sitzt.“

Von diesem Mann und manchen anderen Russen in Rheinland-Pfalz auf Putins Seite distanziere er sich. Diese Leute stünden wohl unter dem Eindruck der Propaganda staatlicher Medien. „Das ist wie mit den Corona-Impfgegnern: Die kann man nicht so schnell überzeugen, da würde ich zu viel Zeit verlieren“, sagt Smelyanskyy.

Umgekehrt hätten aber nun auch zwei Freunde mit jeweils russischen und deutschen Pässen mit Wohnsitz im hessischen Bad Schwalbach nach eigenen Angaben aus Protest die Aberkennung ihrer russischen Staatsangehörigkeit beantragt, ergänzt der Ingenieur.

Der Arbeitsbereich Russisch der Mainzer Universität zeigt sich auf seiner Homepage „äußerst schockiert und tief besorgt angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffs der Russischen Föderation auf den souveränen Nachbarstaat Ukraine“. „Wir sind fassungslos. Unsere Gedanken sind bei allen Studierenden, die selbst oder deren Angehörige jetzt in der Ukraine lebensbedrohlichen Gefahren ausgesetzt sind“, heißt es auf der Internetseite. „Unsere Solidarität gilt allen, die überall auf der Welt ihren Unmut darüber kundtun.“

Der Arbeitsbereich Russisch sehe sich „als offener Ort der Begegnungen“ zwischen Studierenden, Dozierenden und Wissenschaftlern aus allen Teilen der Welt. „Gerade hier können wir den Umgang mit unterschiedlichen Biografien und Sichtweisen lernen und somit die Grundlagen für eine friedliche Zukunft schaffen.“

(dpa)
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