Kriminologischer Aspekt

Zum Bericht "Abneigung wächst" (TV vom 7. Mai):

Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Holocaust ein furchtbares Verbrechen war, aber wer dessen historische Einzigartigkeit behauptet, übersieht den kriminologischen Aspekt der Welt- und Menschheitsgeschichte, wie er uns schon am Anfang der Bibel in der Erzählung von Kain und Abel begegnet. Nach einer Statistik des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge betragen die Menschenverluste des Ersten Weltkrieges 9,7 Millionen, die des Zweiten Weltkrieges, den Hitlers Polenfeldzug ausgelöst hat, 55 Millionen. Dazu kommen 56 Millionen Kriegsgeschädigte, so dass über 120 Millionen Menschen die beiden großen Kriege des 20 Jahrhunderts mit Leben oder Gesundheit bezahlt haben. Aber nicht nur diese erschütternden Fakten relativieren Hitlers Massenmord an den Juden, denn ein Blick auf die Geschichte der Sowjetunion zeigt, dass innenpolitischer Terror nicht ausschließlich eine Sache des NS-Regimes gewesen ist. Wie der KGB 1991 kurz vor seiner Auflösung enthüllte, kamen zwischen 1928 und 1952 unter der Herrschaft Stalins 42 Millionen Sowjetbürger in Folge der Zwangskollektivierung und der Säuberung ums Leben (Brian Moynahan: Das Jahrhundert Rußlands 1894-1994, C. Bertelsmann, München 1994.) Doch zurück in die Gegenwart! Erst in diesen Tagen wurde der mindestens 800 000 Toten gedacht, die vor zehn Jahren binnen dreier Monate in Ruanda einem Massenmord zum Opfer gefallen sind. Zwei Zitate seien diesem Beitrag angefügt: "Es gibt keine Geschichte der Menschheit, es gibt nur eine unbegrenzte Anzahl von Geschichten, die alle möglichen Aspekte des menschlichen Lebens betreffen. Und eine von ihnen ist die Geschichte der politischen Macht. Sie wird zur Weltgeschichte erhoben, aber die Geschichte der Machtpolitik ist nichts anderes als die Geschichte internationaler Verbrechen und Massenmorde" (Karl Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band 2). "Wir lehren noch immer über die Generäle, die Politiker und die Philosophen; wir vermeiden es, die dunkle Seite der Geschichte wahrzunehmen: den Massenmord, die Qual, das Leiden, die uns aus der gesamten Historie entgegenschreien" (Yehuda Bauer, Direktor des Internationalen Forschungsinstituts für Holocaust-Studien in Jerusalem). Hermann Meschke, Trier

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