Leiser Flamenco aus dem Hinterhof

Seit etwa zehn Jahren lebt Jörg auf der Straße. Der Heroinkonsum hat ihn gezeichnet. Doch wenn er gut drauf ist, entlockt er seiner Gitarre Takte, die fröhlich machen. Er ist einer der Obdachlosen, die vom neuen Verein "Trier bewegt" (der TV berichtete) unterstützt werden.

 Der Obdachlose Jörg spielt am liebsten Flamenco. TV-Foto: Tobias Thieme

Der Obdachlose Jörg spielt am liebsten Flamenco. TV-Foto: Tobias Thieme

Trier. Die schwüle Hitze der Julitage hat ihm zugesetzt. Beim ersten Treffen döste Jörg nur vor sich hin, war nicht ansprechbar. Heute ist es ein paar Grad kühler, und Jörg erzählt, wie er vor Jahren auf der Straße landete. Im Schneidersitz hat er sich auf seiner löchrigen Matratze niedergelassen. Seine Hände zittern, wenn er sich eine Kippe ansteckt. Seit fünf Jahren ist er clean, nimmt kein Heroin mehr. Die Alkoholsucht blieb. Vier Jahre lang hatte er mit der Droge seinen Frust betäubt, bevor er 2005 in ein Polamidon-Programm kam. Eine Überdosis hatte ihn fast das Leben gekostet. Nach der Entgiftung kam die Therapie. "Für die Nachsorge bin ich dann 2006 nach Trier gekommen, habe sogar ein Praktikum in einem Supermarkt gemacht", erinnert sich Jörg. Richtig Fuß gefasst hat er aber nie, bald saß er wieder auf der Straße.

Die Hauptschule hatte Jörg, Jahrgang 1969, nach der achten Klasse geschmissen. Danach hat er viel Mist gebaut. "Wir sind in einen Laden eingestiegen und haben Alkohol geklaut", sagt er. Konsequenz: ein halbes Jahr Knast. Eigentlich hatte er Heizungsbauer werden wollen. Doch die Berufsschule hat er nach einem Jahr verlassen. "Ich habe angefangen, in einer Disko zu jobben. Zehn Jahre habe ich in diesem Laden gehangen", sagt Jörg, der aus Saarlouis stammt.

In Saarbrücken hatte er Zwischenstation eingelegt. Dorthin war er wegen seiner damaligen Freundin gezogen, hatte seinen Job aufgegeben und lebte von Sozialhilfe. "Sie hat mich betrogen, deswegen bin ich gegangen", sagt Jörg. Ein Weilchen hat er auf der Straße gelebt, danach ein Zimmer in einer WG gefunden, es aber auch dort nicht lange ausgehalten. "Die Mitbewohner waren gewalttätig, das habe ich nicht lange mitgemacht." Es war die Zeit, in der er als Junkie unterwegs war. Zwischendurch wanderte er wieder ins Gefängnis. "Beschaffungskriminalität", sagt er. Aber nie sei er gewalttätig gewesen.

Jörg greift nach seiner Gitarre, zupft mit den knochigen Fingern ein paar Takte und starrt mit seinen rotunterlaufenen Augen ins Nirgendwo. "Ich will eigentlich nichts anderes, als Musiker sein." Die Griffe am Instrument sind nicht virtuos, aber schön anzuhören. Und sie machen fröhlich. Jörg spielt auch Flöte und etwas Schlagzeug. An der Gitarre ist Flamenco seine Spezialität. Zurzeit übernachtet er mit seinen Kumpeln Armin und Robert im Hinterhof eines leerstehenden Hauses. Ein großer Wunsch? "Ich brauche dringend ein Dach über dem Kopf. Der letzte Winter war hart." Heute ist es warm. Ein guter Tag, Flamenco zu spielen.

Der TV stellt derzeit Menschen vor, die die meisten von uns nur am Rande wahrnehmen: Obdachlose in Trier.

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