Leitbild-Entwurf: Frische Luft fürs Trierer Kulturleben

Trier · Nach einem Jahr Beratung legt Kulturdezernent Thomas Egger dem Stadtrat ein Kulturleitbild für die Stadt Trier vor. Wenn es in die Praxis umgesetzt wird, dürfte sich in der Trierer Kulturpolitik eine ganze Menge ändern.

 Das Foto zeigt eine Szene des Tanzstücks „Marc Chagall – La Vie“, das 2012 am Trierer Theater lief. TV-Foto: Archiv/Friedemann Vetter

Das Foto zeigt eine Szene des Tanzstücks „Marc Chagall – La Vie“, das 2012 am Trierer Theater lief. TV-Foto: Archiv/Friedemann Vetter

Als die Beratungen vor einem Jahr begannen, waren die selbst gesetzten Ziele so hoch wie die Erwartungen der Beteiligten niedrig. Orientierung für Politik und Verwaltung sollte von dem Papier ausgehen, Transparenz und konkrete Handlungsvorgaben. Doch als Dezernent Egger seinen ersten, durchaus provokativen Entwurf vorlegte, hagelte es Kritik an der vermeintlich "neoliberalen Ausrichtung". Zu viel Markt, zu wenig Bekenntnis zur Kultur als öffentlicher Aufgabe - so lautete der Vorwurf. Und viele Kulturschaffende zweifelten generell an der Absicht der Politik, sich auf einen verbindlichen, transparenten Handlungsrahmen einzulassen.

Etliche Workshops, Konferenzen und Beratungen weiter, kamen am Mittwochabend immerhin beachtliche 60 Interessenten aus der Kulturszene, um das Ergebnis zu begutachten, das Egger kommende Woche dem Stadtrat vorlegen will. Eine Steuerungsgruppe aus Ratsmitgliedern und Kulturpraktikern hatte die harte Aufgabe übernommen, die Erkenntnisse aus der einjährigen Arbeit am Leitbild in ein achtseitiges Konzept zu gießen.

Dabei wurden die Autoren um den SPD-Kulturpolitiker Markus Nöhl deutlich konkreter, als es die meisten Beteiligten am Prozess vermutet hätten. Eggers eher wolkige Vorlage wurde um klar formulierte Ziele ergänzt.

Zentrale Punkte:Die Kommunikation und Kooperation der Kulturanbieter soll verbessert werden.Die Stadt versteht sich als Dienstleister und Impulsgeber.Ehrenamtliche, semiprofessionelle und professionelle Kultur sind gleichermaßen wichtig.Die Stadt kümmert sich verstärkt um die freie Szene, schafft unterstützende Infrastrukturen im Rahmen ihrer Möglichkeiten.Die Stadt initiiert und unterstützt Plattformen und Anlaufstellen, die helfen, das Kulturangebot stärker in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen.Kultur wird als Teil einer ganzheitlichen Bildungskonzeption begriffen.Das Stadtmarketing und die touristischen Vermarkter orientieren sich stärker an der Kultur.
Im Konfliktfeld zwischen marktwirtschaftlicher Orientierung und "höherem" Kulturauftrag setzt das Kulturleitbild auf einen Kompromiss: Einerseits bekennt sich das Papier eindeutig zur Notwendigkeit einer öffentlichen Kulturförderung, andererseits fordert es von den Kulturmachern ein, nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit zu arbeiten und die Grenzen der Ressourcen bei den öffentlichen Mitteln zu respektieren.

Einzelne Kulturinstitutionen zählt das Kulturleitbild nicht auf. Grund für eine kritische Nachfrage von Theaterintendant Gerhard Weber, der sein Haus und andere Einrichtungen wie die Tuchfabrik gerne namentlich erwähnt gesehen hätte.

Ansonsten gab es überwiegend positive Stimmen aus der Kulturszene. "Das ist ein brauchbarer erster Stein für ein Gebäude, das nun weitergebaut werden muss", sagt die Chefin der Europäischen Kunstakademie, Gabriele Lohberg. Und der freischaffende Künstler Laas Köhler lobt die Arbeit der Steuerungsgruppe, mahnt aber auch die praktische Umsetzung der Ziele an. "Wenn nichts kommt", sagt Köhler, "wird der Frust groß sein".

Das wollen Egger und Nöhl verhindern. Nach der Verabschiedung im Rat soll die Steuerungsgruppe aus dem Leitbild konkrete Leitlinien für die Kulturpolitik, aber auch für den Einsatz der städtischen Mittel entwickeln. Jährlich soll über die Umsetzung berichtet werden - gegenüber dem Stadtrat, aber auch im Rahmen öffentlicher Treffen mit allen Kulturmachern.Meinung: Erfreulich klare Ansagen

Von Dieter Lintz

Kulturleitbild - das klingt zunächst ziemlich abgehoben und theoretisch. Aber für Kultur gibt die Stadt Trier, wenn man wirklich alles zusammennimmt, im Jahr 20 Millionen Euro aus. Und wenn man weiß, wie gering die finanziellen Spielräume jenseits der gesetzlichen Pflichtausgaben sind, dann wird schnell klar, welch enormer Stellenwert der Kultur in der "Kulturstadt Trier" zukommt. Nicht zu reden vom großen historischen kulturellen Erbe und von der Bedeutung der Kultur als Standortfaktor und Tourismusmagnet. Und, last but not least, als Frischluft-Lieferant für eine Stadt, die gegen Behäbigkeitsattacken nicht immer gefeit ist.

In einem derart wichtigen Sektor sollte man planvoll vorgehen und wissen, was man will. Da bringt das Leitbild alle Beteiligten ein Stück weiter. Denn es stellt manche Dinge klar. Etwa, dass sich Kultur in Trier nicht in der Hege und Pflege großer Institutionen erschöpft. Dass Schluss damit sein muss, dass jeder Kulturträger nur sein Beet beackert. Dass es stärker öffentliche Aufgabe sein muss, die vielen kleinen, freien, bunten Kulturinitiativen zu unterstützen. Dass man dringend den "Verkauf" kultureller Angebote an die Menschen in Trier und dem Umland verbessern muss, ebenso wie die Einbindung und Ansprache potenzieller Sponsoren. Dass Kultur stärker in die Bildungseinrichtungen und soziokulturellen Szenen gehört.

Das klingt alles so gut wie vernünftig. Aber wenn man es ernst nimmt, wird es Konsequenzen für die Ausrichtung vor allem der großen städtischen Kultureinrichtungen haben. Und für die Verteilung der Ressourcen. Spannend wird es, wenn die hehren Ziele in schnöde, vielleicht auch unbequeme Beschlüsse münden. Aber wie schon ein berühmter Bundeskanzler sagte: Entscheidend ist, was hinten rauskommt. d.lintz@v olksfreund.de

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