Lernen, mit der Wut klarzukommen

Trier/Welschbillig · Wie holt man Jungs aus einer Gewaltspirale heraus? Eine Antwort ist das Anti-Aggressivitäts- und Coolness-Training, ein Projekt des Jugendhilfezentrums Don Bosco Helenenberg und der Suchtberatung "Die Tür" in Trier. Die beiden Trainer, Gerhard Schröder und Frank Kimmlingen, bringen jungen Menschen bei, ihre Wut zu zügeln.

 Die Teilnehmer des Anti-Aggressivitäts-Trainings sollen spüren, wie es ist, am Boden zu liegen und gedemütigt zu werden. TV-Foto: Katja Bernardy

Die Teilnehmer des Anti-Aggressivitäts-Trainings sollen spüren, wie es ist, am Boden zu liegen und gedemütigt zu werden. TV-Foto: Katja Bernardy

Trier/Welschbillig. Kaltes Neonlicht durchflutet den Raum in der Soccerhalle von Don Bosco. Klaus liegt seitlings auf einer Matte. Füße, die ihn treten wollen, kommen seinem Körper gefährlich nahe. "Wie hast du dich gefühlt?", fragt Trainer Gerhard Schröder, nachdem der 17-Jährige sich wieder aus der Ohnmachtslage aufgerappelt hat.
Obwohl Klaus nicht wirklich bedroht war, sagt er: "Hilflos. Es ist nicht schön, am Boden zu liegen." Ziel der Übung: Der Teenager soll das nachempfinden, was die Menschen gefühlt haben, die er trotz seines jungen Lebens bereits in diese Lage gebracht hat. Mit geballten Fäusten drosch er blind auf Hilflose ein. "Ich habe Leuten wehgetan, wie mir wehgetan wurde, weil ich nicht damit umgehen konnte", erklärt Klaus. Wie er sind fast alle Teilnehmer in Don Bosco bereits wegen Körperverletzung aufgefallen.
Die Lebensläufe der Teilnehmer wecken auch Verständnis für die unbändige Wut, die in ihnen tobt. Warum sitzen nicht auch die Eltern hier?
Klaus lebt seit seinem achten Lebensjahr im Heim, sein Vater ist früh aus seinem Leben verschwunden. Die tiefe Sehnsucht des Jugendlichen nach Familie ist ungestillt. "Ich fühle mich abgestoßen", sagt er. Statt Fürsorge und Geborgenheit begleiteten sexueller Missbrauch und Schläge seine Kindheit.
Ein 17-Jähriger aus Afghanistan hat seine Eltern vor zwei Jahren auf der Flucht verloren. Er war in eine Prügelei verwickelt, die aus einer Kabbelei unter Mitbewohnern des Heims entstanden war, in dem er nun zu Hause ist. Bevor mehr passiert, soll er lernen, mit seiner Wut umzugehen.
Und dann ist da Tim. Er war schon oft den Schlägen seines unberechenbaren Vaters ausgeliefert. Kevin sagt: "Meine Kindheit war beschissen. Ich wurde vergewaltigt, geschlagen, habe auf der Straße gelebt. Mit sieben war ich zum ersten Mal im Heim." Neben ihm sitzt Marc, ebenfalls ein Heimkind. Er hat einem Kollegen einen Holzhammer auf den Kopf gehauen. Warum, weiß er nicht mehr.
"Bei allem Verständnis", sagt Kimmlingen, "die jungen Leute sind verantwortlich für ihr eigenes Tun." Genau das zu begreifen lernen sie in der Gruppe. Mit dem insgesamt 70 bis 100 Stunden umfassenden Training soll die Hemmschwelle zur Gewalt angehoben werden, um weitere Delikte zu vermeiden. Dazu wenden die Anti-Gewalt-Trainer unterschiedlichste Methoden an: Sie reichen vom Nachdenken über die eigene Lebensgeschichte bis hin zur Analyse dessen, das Aggression auslöst.
"Oberstes Ziel ist, dass die Teilnehmer lernen, sich in die Rolle der Opfer zu versetzen", erklärt Kimmlingen. Wenn es gelinge, Mitgefühl anstelle von Verharmlosung, Wut und Härte zu vermitteln, bestehe die Chance, aus dem Kreislauf der Gewalt auszusteigen und die Verantwortung für das eigene Verhalten zu übernehmen.
Dass das Training gemeinsam vom Jugendhilfezentrum Don Bosco und der Suchtberatung "Die Tür" durchgeführt wird, hat einen Grund: "Gewalt hängt häufig auch mit dem Konsumieren von Suchtmitteln zusammen", sagt Schröder.
Was bringt das Training in den Augen der Teilnehmer? "Ich habe gelernt, in brenzligen Situationen, in denen die Wut aus mir herauszuplatzen droht, zu gehen oder Konflikte mit Worten zu lösen", sagt ein Teilnehmer. Tim nickt zustimmend. "Ich weiß jetzt, dass auch ich was wert bin", bilanziert Klaus. Ihm sei nun bewusst, was er anderen angetan habe. "Ich würde alles tun, um das rückgängig zu machen", sagt er. Rückgängig machen kann er nichts. Aber mit Hilfe des Trainings weiter daran arbeiten, dass er nie wieder andere verletzt.

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