Lernen mit Kopf, Herz und Hand

TRIER. Fällt das Wort, so ist die Assoziation mit dem Klischee beinahe unvermeidbar: Waldorfschule. Das klingt nach 68er Sozialromantik, wenn nicht gar nach Utopie. Nach einem Prinzip jedenfalls, das im Gegensatz zur so genannten "Leistungs-Gesellschaft" zu stehen scheint: Abitur mit Töpfern und Kuschelpädagogik.

 Jede Klasse ist ein Orchester: Instrumental-Unterricht an der Waldorfschule.Foto: Christine Wetzel

Jede Klasse ist ein Orchester: Instrumental-Unterricht an der Waldorfschule.Foto: Christine Wetzel

DiesesVorurteil kennt Hans Wunsch, Lehrer an der Trierer Waldorfschule,zur Genüge. Er ist in der Lage, ihn zu widerlegen - im heutigen,letzten Teil der TV -Serie. Nach dem blamablen Ergebnis der PISA-Studie schauen und reisen deutsche Bildungspolitiker gern nach Finnland, um sich dort vom strahlenden Sieger zeigen zu lassen, wie es besser funktioniert. "Dabei müssten sie nur in die Nachbarschaft gucken", sagt Hans Wunsch, "denn was Finnland erfolgreich macht, praktizieren wir auch."

"Auch wir fordern Leistung"

Die Waldorfschule, in der Trägerschaft eines Vereins aus Lehrern und Eltern, beginnt in der ersten Klasse und führt sowohl zum Abitur als auch zum Haupt- und Realschulabschluss - und zwar nach den Vorgaben, die genauso für alle anderen allgemein bildenden Schulen im Land gelten. "Auch wir fordern Leistung", betont Hans Wunsch. "Wir legen Wert auf Qualität und Sorgfalt." Daneben verfolgen die Waldorfschulen mit ihrem eigenen pädagogischen Konzept jedoch besondere Ziele.

"Lernen mit Kopf, Herz und Hand" lautet eine zentrale Formel. Nicht nur Fakten sollen gepaukt werden, vielmehr will die Schule Kreativität eines jeden Kindes fördern und seine individuellen Talente wecken. Die Gestaltung des Lehrplans orientiert sich daher an der Entwicklung der Schüler. Neben dem, was gelernt wird, ist das Wie ganz entscheidend.

Auch mit Blick auf die Anforderungen des Arbeitsmarkts betont Wunsch die Bedeutung der Grundkompetenzen wie Ideenreichtum, Eigenständig- und Belastbarkeit: "Firmen erwarten keine Spezialisten, sondern Menschen, die sich ihr Spezialgebiet erarbeiten können." Deshalb ist neben dem Vermitteln eines breiten Allgemeinwissens die Persönlichkeitsbildung wichtigster Faktor.

Dazu beinhaltet das Konzept für alle Schüler eine zwölfjährige Schulzeit - egal ob sie mit dem Haupt-, dem Realschulabschluss oder nach 13 Jahren mit dem Abitur abschließen. "Nach zwölf Jahren haben die Schüler eine andere Reife erlangt, sind selbstverantwortlicher. Wir hören immer wieder, dass Waldorfschüler eigenständiger und selbstbewusster sind", erklärt Wunsch. Außerdem begegne den Schülern mehr Stoff, ihr Bildungskanon sei weiter gefächert.

Wie in Finnland wird auch erst in der Oberstufe im Fachunterricht nach Leistung differenziert; das System wird aus der Mittelstufe fortgesetzt wird. Dies sieht jeden Morgen zwei Stunden epochalen Blockunterricht vor, in dem ein Fach täglich über mehrere Wochen hinweg unterrichtet wird, um es den Schülern zu ermöglichen, sich intensiv mit dem Thema zu verbinden. Im Anschluss daran erfolgen die Übstunden in anderen Fächern. Persönlichkeitsbildende Faktoren beinhaltet auch das Theaterspielen. Eine weitere Bedeutungssteigerung erfährt der mündliche Ausdruck durch den bereits in der ersten Klasse beginnenden Englisch- und Französischunterricht. Statt Vokabelnpauken steht in der Unterstufe jedoch das spielerische, rein mündliche Lernen im Vordergrund.

Der Praxisbezug dieser Schulform spiegelt sich in den obligatorischen Industrie-, Landwirtschafts-, Landvermessungs- und Sozialpraktika, ferner in den Projektwochen, in denen Schüler sogar selbst Kurse zu zuvor erarbeiteten Themen anbieten, außerdem in der ökologischen Erziehung. Neben der musikalischen Förderung gehören auch Computerkenntnisse zur Waldorfbildung.

Auf eine Notengebung wird im Waldorfschulkonzept konsequenterweise verzichtet. Ziel ist es schließlich nicht, dass ein bestimmtes Wissen zu einer bestimmten Zeit auf Kommando abruf- und damit zensierbar ist, sondern dass sich der einzelne Schüler im individuellen Tempo während seiner Schulzeit insgesamt erfolgreich entwickelt. "Wenn man über Noten reguliert, werden die Schüler über Noten definiert", sagt Hans Wunsch.

Einen Motivationsverlust durch fehlende Zensierung kann er nicht entdecken. "Die Notwendigkeit zum Lernen entsteht aus der Sache heraus und nicht aus der Note." Dahinter steht ein altbekannter, wahrer Satz: "Nicht für die Schule lernen wir, sondern für das Leben."

Bis zum Ende erhalten die Lernenden deshalb reine Wortbeurteilungen in denen auf die Persönlichkeitsentwicklung und den Lernfortschritt eingegangen wird. Erst das Abschlusszeugnis wird schließlich in Zahlen ausgedrückt und somit mit denen der konventionellen Gymnasien, Real- und Hauptschulen vergleichbar gemacht.

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