Interview „Die Beziehungen wurden jeden Tag neu ausgehandelt“

Bitburg/Maastricht · Teile des Altkreises Bitburg und Gebiete an der Obermosel waren nach dem Zweiten Weltkrieg luxemburgische Besatzungszonen. Historiker Félix Streicher erforscht die Ereignisse der Jahre 1945 bis 1955. Er erklärt, warum in beiden Ländern diese Zeit lange kein Thema war.

In Marschformation geht es durch das zerstörte Bitburg. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Luxemburger in der Bierstadt stationiert.

In Marschformation geht es durch das zerstörte Bitburg. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Luxemburger in der Bierstadt stationiert.

Foto: Stadt Bitburg

Auf der früheren Air-Base Bitburg erinnern noch Relikte an die Zeit, als die Stadt Stützpunkt der USA gewesen ist. Dass knapp zehn Jahre lang nach dem Zweiten Weltkrieg luxemburgische Soldaten in Bitburg sowie in weiteren Gebieten stationiert waren, ist hingegen nahezu in Vergessenheit geraten. Ein luxemburgischer Historiker beleuchtet nun dieses auch spannungsgeladene Kapitel deutsch-luxemburgischer Beziehungen.

Es wirkt so, als ob eine kritische Aufarbeitung der jüngeren Geschichte Luxemburgs erst seit ein paar Jahren möglich ist. Liegt das am zeitlichen Abstand?

Félix Streicher Sicher auch das. Doch es bleibt ein Problem. Wir können als Historikerinnen und Historiker so viel schreiben wie wir wollen, sehr viel davon kommt außen nicht an. Man kann althergebrachte Vorstellungen so oft dekonstruieren, wie man möchte. Es halten sich trotzdem festgefahrene Narrative.

Die luxemburgische Besatzungszeit in Bitburg ist zumindest in der deutschen Erinnerung kein Thema. Ist es eine in der luxemburgischen?

Streicher In Deutschland wird diese Zeit überschattet von der weitaus längeren Franzosenzeit und vor allem durch die us-amerikanische Präsenz. Dies hatte politisch, wirtschaftlich, kulturell und sozial einen weitaus größeren Einfluss. Auf luxemburgischer Seite ist es auch eine unbequeme Erinnerung. Nach dem nationalen Metanarrativ war Luxemburg über Jahrhunderte immer besetzt. Und dann wurde man selbst zu Besatzern. Das ist irgendwie schwierig. Zudem war die Besatzung nicht besonders erfolgreich. Zudem versteht man sich als Motor der europäischen Integration. Das passt da nicht herein.

Warum hat Luxemburg überhaupt Gebiete besetzt?

Streicher Das hatte vor allem außenpolitische Gründe. Sie waren seit 1944 an einer Besatzungszone interessiert. Das einzige Ziel der Aufstellung einer luxemburgischen Armee war die Besatzung. Man wollte symbolisch an der Seite der Westalliierten stehen. Man wollte auch mit am Tisch sitzen, wenn es um Nachkriegsordnung in Deutschland geht. Zudem waren die Gebiete auch ein Faustpfand bei der Klärung einer finanziellen Wiedergutmachung.

Luxemburg war selbst stark zerstört. Warum hat man sich trotzdem eine Armee geleistet, die natürlich auch viel Geld kostet?

Streicher Das hat man in den Anfangsmonaten nicht so bedacht. Da gab es eine extrem patriotische und nationalistische Stimmung. Der Rollentausch, dass aus Besetzten Besatzer werden, spielt da eine Rolle. Ab Anfang 1946 gibt es dann erstmals Kritik. Vorgetragen von der LSAP. Die sprach sich auch gegen die Wehrpflichtigenarmee aus.

 Zwischen Ende 1944 und 1951 erschien die Zeitschrift On Jongen, herausgegeben von der Ligue des conscrits luxembourgeois réfractaires au service militaire allemand.

Zwischen Ende 1944 und 1951 erschien die Zeitschrift On Jongen, herausgegeben von der Ligue des conscrits luxembourgeois réfractaires au service militaire allemand.

Foto: Bibliothèque nationale du Luxembourg
Nun ist es an uns, zu besetzen. Titelfoto der Publikation Ons Jongen.

Nun ist es an uns, zu besetzen. Titelfoto der Publikation Ons Jongen.

Foto: Bibliothèque nationale du Luxembourg

Und trotzdem bleiben die Soldaten bis 1955?

Streicher Es wurde von der Regierung argumentiert, dass es Verpflichtungen gegenüber den Alliierten gibt. Ab Ende 1954 musste Luxemburg die Kosten für die Stationierung komplett allein tragen. Ab dann will man auch nicht mehr da bleiben.

Stichwort bleiben. In diese Zeit fällt auch die Überführung der Gebeine von Johann dem Blinden aus Kastel-Staadt nach Luxemburg. So richtig koscher war das nicht.

Streicher Das will ich nicht sagen. Was man sagen muss, ist, dass es die Besatzer sind, die entscheiden. Die Besetzten werden nicht gefragt. Wer nicht gefragt wird, ob man Johann den Blinden zurücknehmen darf, sind also die Deutschen. Es war sicher eine spektakuläre Episode, wie er zurückgekommen ist. In Zeitungsartikeln über das Ereignis wird jedoch oft mit keinem Wort erwähnt, dass Luxemburg dort Besatzungsmacht gewesen ist. Oft tauchen dann die Amerikaner auf, die damit etwas zu tun haben sollen. Aber das stimmt nicht.

War diese Rückkehr wirklich so wichtig?

Streicher Es war ein Teil des Renationalisierungsprozesses. Meine Interpretation ist, dass man dieses Ereignis verknüpfen kann mit der Rückkehr vieler umgebrachter politischer Gefangener beispielsweise aus Hinzert. Das geschah in einer ähnlichen Art und Weise wie bei Johann dem Blinden. Man nutzt die Gelegenheit, um einen starken nationalistischen Moment zu kreieren.

Sie vertreten eine andere Position als beispielsweise der Historiker Vincent Artuso. Der schreibt, dass die Besetzung auch deshalb kein Erfolg war, weil sich Besatzer und Besetzte ähnlich waren. Sei es die Sprache, die Religion oder die Kultur.

Streicher Er hat recht wenn er sagt, dass die luxemburgische Sprache geholfen hat, wieder zueinanderzufinden. Wenn ich mir meine Quellen anschaue, kann man nicht davon sprechen, dass da eine große Annäherung stattgefunden hat. Die Beziehungen wurden jeden Tag neu ausgehandelt. Es gibt nicht Schwarz und Weiß. Es gibt viel Grau dazwischen.
1945 hat niemand daran gedacht, dass es eine Wiederannäherung gibt. Man kommt sich näher. Doch schreibt ein hoher französischer Militär aus Bitburg, dass 1955 viele Deutsche froh sind, dass die Luxemburger wieder verschwinden.

Warum?

Streicher Es waren Besatzer. Dass es dann auch noch Luxemburger sind, hat wohl auch an der nationalen Ehre von verschiedenen Leuten gekratzt. Die Garnison war nicht zu freundschaftlichen Zwecken da. Und die Luxemburger lassen das die Deutschen auch immer wieder spüren. Es wurden demonstrativ Paraden veranstaltet. Es gab sehr lange die Demütigung mit dem Fahnengruß. Der soll ab 1946 eigentlich verboten sein, wird jedoch weiter praktiziert. Es gab bis in die 1950er Jahre immer wieder Übergriffe. Von beiden Seiten aus.

War es also doch nicht so harmonisch, wie im Nachgang gerne berichtet wird?

 Félix Streicher

Félix Streicher

Foto: Privat
Luxemburgischer Gottesdienst in der Bitburger Liebfrauenkirche am 29. Januar 1950. Bei der Aufnahme handelt es sich um ein Te Deum anlässlich des luxemburgischen Nationalfeiertags.

Luxemburgischer Gottesdienst in der Bitburger Liebfrauenkirche am 29. Januar 1950. Bei der Aufnahme handelt es sich um ein Te Deum anlässlich des luxemburgischen Nationalfeiertags.

Foto: Musée National d’Histoire militaire (MNHM)
Einmarsch des 1. Infanterie-Bataillons über die Moselbrücke von Remich in den Sektor Saarburg am 13. November 1945.

Einmarsch des 1. Infanterie-Bataillons über die Moselbrücke von Remich in den Sektor Saarburg am 13. November 1945.

Foto: Photothèque de la Ville de Luxembourg/Tony Krier
 Die Gebeine des Königs Johann von Böhmen aus dem Hause Luxemburg ruhten in der Klause Kastel-Staadt von 1838 bis 1946, bis sie in die Kathedrale in Luxemburg überführt wurden.

Die Gebeine des Königs Johann von Böhmen aus dem Hause Luxemburg ruhten in der Klause Kastel-Staadt von 1838 bis 1946, bis sie in die Kathedrale in Luxemburg überführt wurden.

Foto: Herbert Thormeyer

Streicher In meiner Dissertation will ich in einem Kapitel auf das Thema Heiraten eingehen. Da gab es Animositäten, die bis in die 1950er wirkten. Es gab zwar viele Beziehungen. Aber es gab fast keine Heiraten. Die Armee hat das streng reguliert. Es gab einen Befehl, der sagte, dass man nicht mehr nach Luxemburg zurückkommen brauchte, wenn man eine Deutsche heiratet. Das war ein No-Go.
Ich habe einen Fall gefunden, wo im Winter 1955 und somit nach dem Ende der Besatzung ein Offizier beim Generalstab nachfragt, ob er seine deutsche Freundin heiraten dürfte. Und da sagt der Generalstabschef Ja. Und dann gibt es eine handschriftliche Ergänzung von Prinz Felix, der Gemahl von Großherzogin Charlotte, dass er nicht einverstanden ist mit dieser Entscheidung. Eine Verbindung war damals oft mit einer sozialen Ächtung innerhalb beider Familien verbunden.

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