Macht und Manipulation

TRIER. (daj) Über den "Schand-Elfmeter von Leipzig" und andere DDR-Fußball-Geschichten referierte der Historiker Giselher Spitzer im Karl-Marx-Haus.

Vor fast genau 20 Jahren, am 22. März 1986, sorgte Bernd Stumpf für den größten Skandal im DDR-Fußball: Der Schiedsrichter ließ in der Partie Lokomotive Leipzig gegen BFC Dynamo so lange nachspielen, bis er einen Strafstoß verhängen konnte, der dem Serienmeister aus Berlin den Ausgleich zum 1:1 ermöglichte. Als "Schand-Elfmeter" von Leipzig wurde diese allzu offensichtliche Spielmanipulation bekannt und führte zu wütenden Protesten. Mielke, der Fußballnarr

Neben dieser Bevorzugung des BFC - dessen Vorsitzender niemand anderes als der Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, war - ging es beim Vortrag des Historikers Giselher Spitzer über den Fußballsport in der DDR um das Thema Doping. Trotz offiziellen Verbots wurden auch im Fußball Versuche unternommen, den sportlichen Leistungen durch Mittel wie Amphetamine oder Psychopharmaka nachzuhelfen. In der Regel sei dies ohne Wissen der betroffenen Spieler geschehen. Für den Präsidenten des Sportbundes DTSB, Manfred Ewald, waren andere, medaillenträchtigere Sportarten wichtiger, weil sie mehr zum internationalen Prestige beitrugen. Erich Mielke jedoch war nicht nur Fußballfan, sondern nutzte seinen Einfluss auch, um seinem Verein Vorteile zu verschaffen. Schiedsrichter, die Spiele mit Beteiligung des BFC leiten durften, seien, so Spitzer, selbst inoffizielle Mitarbeiter des MfS gewesen und pfiffen im Sinne ihres obersten Dienstherrn. Außerdem seien stets die besten Spieler, mehr oder weniger unter Druck gesetzt, nach Berlin geholt worden. Für offizielle Anweisungen, Spiele zu manipulieren, lassen sich allerdings, wie eine Untersuchung des Politologen Hanns Leske ergeben hat, keinerlei Belege finden. Es waren also anscheinend subtilere Mechanismen, die zu Beeinflussungen geführt haben, teils auch ein vorauseilender Gehorsam der Schiedsrichter, für die - gerade wenn sie international tätig sein wollten - ein positives Verhältnis zum MfS von Vorteil war. Soziale Dimension kam zu kurz

Man hätte sich von Spitzer eine komplexere Darstellung der Verhältnisse des DDR-Sports gewünscht, wie insbesondere der Zweiklassengesellschaft zwischen Betriebssportgemeinschaften und den mit Leistungszentren verbundenen Sportclubs. Dies hatte nämlich nicht nur negativen Einfluss auf die sportliche Chancengleichheit, sondern führte auch zur Herausbildung unterschiedlicher Fan-Szenen. Während beispielsweise in Leipzig der FC Lok als parteinah galt, sammelten sich bei der BSG Chemie viele Oppositionelle. Die Staatstreue des FC Lok ging allerdings nicht so weit, die Bevorzugung des BFC zu unterstützen. Nach dem "Schandelfmeter" beschwerten sich auch viele Leipziger SED-Mitglieder. Wie Hanns Leske beschreibt, wurde eine Kommission eingesetzt, die für die Saison 1984/85 Wettbewerbsverzerrungen nachwies. Bernd Stumpf wurde die Zulassung als Oberliga-Schiedsrichter entzogen, und Karl Zimmermann als neuer DFV-Generalsekretär unterband Manipulationen in größerem Stil. Durch die Ausklammerung derartiger Vorgänge bot der Vortrag von Giselher Spitzer leider eine eher einseitige Sicht auf den Fußball in der DDR. Insbesondere die sozialen Dimensionen, etwa die Rolle Fußball im Bewusstsein der Fans oder als kulturelles Phänomen, kamen dabei zu kurz.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort