Mein Patient, der Baum

Schweich/Leiwen · Die Verbandsgemeinde Schweich hat Konsequenzen aus dem tödlichen Baumunfall in Trier gezogen und ein Baumkataster eingeführt (siehe Extra). Seit drei Wochen nehmen Sachverständige Eichen, Kastanien und Pappeln in den Ortsgemeinden unter die Lupe.

 Martin Biehl untersucht mit einem Spezialgerät den Querschnittszustand einer Kastanie.

Martin Biehl untersucht mit einem Spezialgerät den Querschnittszustand einer Kastanie.

Foto: Albert Follmann

Schweich/Leiwen. Als am 22. November 2012 eine mächtige Kastanie in der Trierer Wilhelm-Rautenstrauch-Straße umstürzte, bereitete das vielen Bürgermeistern und Kommunalpolitikern schlaflose Nächte.
Denn in die Trauer um den schrecklichen Unfalltod einer 70-jährigen Rentnerin (der TV berichtete) mischte sich auch Sorge und Ungewissheit über den Zustand der Bäume vor der eigenen Haustür: Kann so was wie in Trier auch bei uns passieren? Wie standfest sind die Bäume, die wir an unseren Wegen oder öffentlichen Plätzen haben?
Auch die Verbandsgemeinde (VG) Schweich reagierte und beschloss, alle öffentlichen Bäume in den Ortslagen der Gemeinden untersuchen und kartieren zu lassen. Die Moselorte Schleich und Mehring sind schon durchforstet worden, derzeit ist Leiwen an der Reihe.
Martin Biehl ist der Spezialist, der die Baumsubstanz untersucht. Der Fachagrarwirt ist zwar auch ausgebildeter Kletterer. Aber diese Fähigkeit muss er erst anwenden, wenn es ans Handwerkliche geht. "Wir müssen erst beurteilen, wie verkehrssicher die Bäume sind", sagt Biehl.
Heute nimmt er sich die beiden mächtigen, vermutlich mehr als 100 Jahre alten Rosskastanien an der Euchariusstraße in Leiwen vor. Sein optischer Eindruck des unteren Baumes mit der Nummer 752: Die Krone ist stark einseitig ausgeprägt ist. Biehls Erklärung: "Die Bäume stehen für ihre Größe zu nah beieinander. Beide streben zur Sonne - und der untere weicht aus. Durch die einseitige Ausbildung der Krone wird die Standfestigkeit beeinflusst."
Nachdem der Baum zu ihm "gesprochen hat", wie Biehl es ausdrückt, untersucht er den Stamm mit einem Resistographen. Das ist ein Bohrwiderstandsmessgerät. Eine 1,5 Millimeter starke Nadel zeichnet die Holzdichte elektronisch auf, während sie sich durch den Baum frisst. Am Ende spuckt der Computer dann ein Kurvenblatt aus. Das zeigt an, dass die Kastanie ab Zentimeter 35 hohl ist. "Das ist nichts Schlimmes", sagt Baumdoktor Biehl, "auch hohle Bäume können sehr standfest sein."
Allerdings könne sich von den Hohlräumen aus auch Fäulnis ausbreiten. Seine Diagnose lautet schließlich: Der Baum muss um 15 bis 20 Prozent reduziert werden, damit er dem Wind weniger Angriffsfläche bietet. Schon in den nächsten Wochen soll das geschehen.
Gleichzeitig werden tote Äste entfernt. Auch die obere Kastanie wird von Totholz und Ästen befreit, die sich im Wind "wund reiben".
Die 30 Meter hohe Pappel am Leiwener Festplatz stuft Biehl als komplizierteren Fall ein. Der "Zwieselbaum", so genannt, weil sich der Stamm doppelt ausbildet, droht auseinander zu brechen; der Wurzelbereich ist faul. Biehl untersucht die Pflanze mit einem Ultraschallgerät.
Seine Diagnose: bis zu 35 Prozent einkürzen - oder fällen. Die Gemeinde solle das entscheiden. Nicht zu retten ist dagegen der Kirschbaum auf dem Spielplatz. Der Baum mit den leckeren Früchten ist von einem Pilz befallen und stellt eine zu große Gefahr für die Allgemeinheit dar.
Auch auf dem Gelände des Schweicher Freibads haben Martin Biehl und seine Kollegen kürzlich mehrere Bäume gefällt. Mehr als 40 wurden zurückgeschnitten. Und auch vom Trierer Tiefbauamt liegen den Baumdoktoren Aufträgte vor. 400 Bäume hat die Firma in der Römerstadt schon verarztet.
Vor einigen Wochen seien sie sogar von der Feuerwehr zu einem Notfall gerufen worden, berichtet Biehl. Bei einem Sturm drohte ein Baum auf die Jugendherberge zu fallen.Meinung

Lasst die Profis ran
Wie so oft, musste erst etwas passieren, damit etwas passiert. Der tödliche Unfall in Trier hat die Verwaltungen wachgerüttelt und hat ihnen vor Augen geführt, welch große Gefahr von kranken Baumriesen ausgehen kann. Die Verbandsgemeinde Schweich hat gut daran getan, bei der Erstellung eines Katasters auf externen Sachverstand zu vertrauen. Schließlich geht es um nicht weniger als den Schutz der Bürger. Und öffentliche Bäume stehen nun mal an besonders sensiblen Standorten wie Schwimmbädern, Schulen oder Dorfplätzen. Andere Verbandsgemeinden, etwa Ruwer und Saarburg, überlassen es den Ortsbürgermeistern und Gemeindearbeitern, Bäume zu registrieren, Krankheitssymptome zu erfassen und Pflegeempfehlungen zu geben. Im Gegensatz zur VG Schweich gibt es dort allerdings Bauhöfe, die Tätigkeiten für Ortsgemeinden übernehmen. Die Frage ist nur, ob man damit nicht am falschen Ende spart. Trotz Schulungen dürften Gemeindearbeiter, die nicht von artverwandten Berufen aus der Forstwirtschaft oder dem Garten- und Landschaftsbau kommen, mit verlässlichen Baumanalysen überfordert sein. Und zudem fehlt es an moderner Messtechnik, um in die Bäume hineinzusehen. a.follmann@volksfreund.deExtra

Die Ortsbürgermeister der Verbandsgemeinde Schweich hatten in einer Dienstbesprechung im Dezember 2012 beschlossen, die Bäume regelmäßig kontrollieren zu lassen. Im Januar 2013 erfolgte dann die Ausschreibung eines Baumkatasters. Anfang März stand fest, wer die schätzungsweise 4500 bis 5000 Bäume in der VG prüfen sollte. Den Zuschlag erhielt die Firma Die Baumpfleger aus Marpingen (Saarland). Die Kosten für Katalogisierung (inbegriffen sind auch junge Bäume) und Gefährdungseinschätzung betragen rund 40 000 Euro. Baumpflege oder -fällung kostet extra. 15 der 18 Gemeinden in der Verbandsgemeinde Schweich beteiligen sich an der Erstellung eines Baumkatasters. Die Gemeinde Longuich betreibt seit längerem ein eigenes Kataster; auch Ensch und Föhren beabsichtigen, die Kontrollen selbst zu übernehmen. Bis November dieses Jahres sollen alle Bäume in der VG Schweich erfasst und kontrolliert sein. alfExtra

VG Ruwer: Die VG Ruwer erstellt kein gemeinsames Baumkataster. Die Gemeindearbeiter werden laut Bürgermeister Bernhard Busch in Schulungen darauf vorbereitet, Bäume zu beurteilen. Pflege oder Fällung werde an Fachfirmen vergaben. VG Trier-Land: Man werde sehr zeitnah mit der Erstellung des Baumkatasters beginnen, sagt Pressesprecherin Johanna Fox. Die Software sei installiert. Experten sollen die Baumbestände überprüfen. alf

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