"Mein Stadtplan ist nicht mehr in Farbe"

Trier · Wer sich plötzlich von seinem bisherigen Leben verabschieden muss, braucht oft Unterstützung. So machte Karl Kohlhaas das Beste aus seiner Erblindung und engagiert sich in der Trierer Regionalgruppe von Pro Retina für Sehbehinderte, Blinde und deren Angehörige.

 Mit seinem Blindenführhund Angelo findet sich Karl Kohlhaas in Trier, wie hier in der Paulinstraße, gut zurecht. Um Hindernisse führt ihn der Hund herum. TV-Foto: Dorothee Quaré

Mit seinem Blindenführhund Angelo findet sich Karl Kohlhaas in Trier, wie hier in der Paulinstraße, gut zurecht. Um Hindernisse führt ihn der Hund herum. TV-Foto: Dorothee Quaré

Trier. Karl Kohlhaas ist 30 Jahre alt, als er feststellt, dass mit seinen Augen etwas nicht stimmt. "Ich war bei der Bundeswehr im letzten Dienstjahr und machte eine Weiterbildung. Plötzlich konnte ich Worte nur noch teilweise sehen und beim Schreiben die Zeilen nicht mehr halten", berichtet er. Beim Augenarzt wartete eine böse Überraschung auf ihn: Makula-Degeneration, juvenile Form - eine unheilbare Netzhauterkrankung. "Das war 1991. In dem Jahr bin ich in ein tiefes Loch gefallen", erinnert sich der 51-Jährige aus Serrig. Sein Sehen verschlechterte sich von Woche zu Woche; heute, gut 20 Jahre danach, sieht er weniger als ein Prozent auf beiden Augen. Wegen seiner Lichtempfindlichkeit trägt er eine dunkle Brille. "Mein Stadtplan ist nicht mehr in Farbe", sagt der frühere Fahrlehrer. Doch er hat gelernt, sich zurechtzufinden - mit Unterstützung: Beim Gespräch im Café liegt Blindenführhund Angelo geduldig unter dem Stuhl. Der zweijährige Königspudel ist bereits sein dritter, vorher hatte er einen Schäferhund und einen Australian Shep herd.
"Meine Kinder haben mich aus dem Loch herausgeholt", erinnert er sich. "Sie sagten: ,Papi, so geht es doch nicht weiter.\'" Er erkundigte sich nach Berufsförderungswerken für Blinde und Sehbehinderte und machte eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten. Eine Stelle fand er allerdings nicht. "Man hat mir die Arbeit wohl nicht zugetraut. Viele Leute wissen gar nicht, was wir mit unseren Hilfsmitteln alles machen können." Mit dem Fortschreiten seiner Erkrankung lernte er Punktschrift und lebenspraktische Fertigkeiten für Blinde. "Es geht zum Beispiel darum, mehr Ordnung zu halten, zu kochen, ohne dass einem das Essen anbrennt, und sich selbst einen Knopf annähen zu können."
Heute ist Karl Kohlhaas in Rente. Seit Jahren engagiert er sich in der Regionalgruppe Trier des Vereins Pro Retina Deutschland, einer Selbsthilfevereinigung für Menschen mit Netzhaut-Degeneration. "Die Mitglieder unterstützen sich gegenseitig", berichtet er. Oft gehe es darum, Menschen nach der Diagnose aufzufangen. "Sie müssen sich damit abfinden und das Beste draus machen." Der Verlauf der Erkrankung gleiche einem ständigen Verabschieden: "Was man in dieser Woche noch kann, gelingt einem in der nächsten vielleicht kaum noch." Doch Karl Kohlhaas rät dazu, den Abschied aktiv zu durchleben: "Nur dann kann man einen Neubeginn wagen."
Extra

Der Verein Pro Retina Deutschland e. V. ist eine Selbsthilfevereinigung von Menschen mit Netzhaut-Degeneration. Zu den Aufgaben zählen Beratung für Betroffene und Angehörige, Hilfsmittelinformation und Forschungsförderung. Bundesweit hat der Verein mehr als 6000 Mitglieder und etwa 60 Regionalgruppen. Die Trierer Gruppe besteht seit 27 Jahren und hat 75 Mitglieder zwischen 18 und 89 Jahren im früheren Regierungsbezirk und im benachbarten Luxemburg. Ansprechpartnerin ist Marion Palm-Stalp, E-Mail an die Adresse pro-retina-stalp@gmx.de. Weitere Informationen gibt es auch unter www.pro-retina.de/trier DQ

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