Mit 100 000 Menschen den Papst erleben

S traßensperren, geschlossene Geschäfte und zugeschweißte Gullideckel: Ende September bereitet sich die Republik auf den gefühlt wichtigsten Besuch seit langem vor. Papst Benedikt XVI.

kommt zum dritten Mal in sein Heimatland und macht Station in Berlin, Erfurt und Freiburg. Aus Sicherheitsgründen ist die Distanz zu den Gläubigen groß. Absperrgitter halten die Menschenmassen bei seinen öffentlichen Auftritten zurück, das Bad in der Menge gibt es nicht.
Aus dem Bistum Trier machen sich 23 Gruppen mit etwa 750 Pilgern auf den Weg nach Freiburg, um dort den Abschlussgottesdienst mit dem katholischen Oberhirten zu feiern. Mit dabei ist auch eine Gruppe von 40 Volksfreundlesern. Sie kommen dem Papst dabei so nahe, wie es eben geht. Ihr Block auf dem Flughafengelände in Freiburg, wo der Papst die Messe zelebriert, liegt direkt an der Fahrstrecke des Papamobils. Bereits um sieben Uhr in der Frühe - drei Stunden vor Beginn der Eucharistie - sind die Pilger an ihren Plätzen. Im Morgengrauen strömen nach und nach etwa 100 000 Menschen auf das Gelände.
"Das war wirklich ein großartiges Ereignis. Bei dieser Menschenmenge war bis zur Getränkeversorgung alles bestens organisiert", sagt Richard Esch (73) aus Hillesheim, der mit seiner Frau Hedwig nach Freiburg gereist war. Doch das Gedränge hinter den Absperrgittern an der Fahrstrecke des Papstes war enorm. "Ich habe den Papst nicht wirklich zu Gesicht bekommen", ist er im Nachhinein etwas enttäuscht. Obwohl er ein Fernglas dabei hatte. "Leider hat das Übertragungsgerüst eines Fernsehsenders den Blick versperrt."
Insgesamt 181 000 Christen kehrten der katholischen Kirche 2010 den Rücken. Für den Besuch von Gottesdiensten entscheidet sich nur noch jeder achte Katholik. Die Menschen, mit denen der Papst in Deutschland zusammentrifft, repräsentierten auch Probleme, die viele Katholiken mit der Haltung des Papstes haben: Er wurde von einem geschiedenen Bundespräsidenten, einem homosexuellen Stadtoberhaupt und einer muslimischen Ministerin begrüßt. Außerdem besuchte er in Erfurt den Ort, an dem der Reformator Martin Luther lange als Mönch gelebt hatte. Und stets an der Seite des Papstes: der Trierer Bischof Stephan Ackermann, zugleich Missbrauchsbeauftragter.
Die Wunschliste der Gläubigen war lang: Sie erwarten Botschaften zu den Missbrauchsfällen, zum Zölibat, zum gemeinsamen ökumenischen Abendmahl, zur Sexualmoral, zu Frauen im Priesteramt. Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch hatte vor zu großen Erwartungen gewarnt: "Es wird nicht alles anders sein, wenn er wieder abgereist ist." Aber ein wenig anders? "Ich finde nicht, dass sich irgendetwas geändert hat", sagt Esch. "Auch wenn die Kritik am Papst teilweise überzogen war, hätte ich mir auf manche Fragen deutlichere Worte gewünscht." Den Zölibat halte er für nicht mehr zeitgemäß.
Reformwilligen erteilte Benedikt XVI. allerdings eine klare Absage: Die Kirche dürfe sich nicht der Gegenwart anpassen. Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller schob den Schwarzen Peter den Gläubigen zu: "Enttäuschung hat immer etwas zu tun mit einer falschen Erwartung." Die Rede vor dem Bundestag befürwortet Esch: "Es war ein Staatsbesuch. Der Auftritt geht in Ordnung."
Nach der etwa zweistündigen Messe zieht die Volksfreund-Pilgergruppe in der prallen Septembersonne zurück zum Busparkplatz - und mit ihnen Pfadfindergruppen, Ordensleute, Studenten, Menschen in Tracht und Jugendgruppen mit ihren Musikinstrumenten. Für Irene Pauls (60) war es ein besonders intensives Erlebnis. Ein Familienmitglied war kurz vor der Messe gestorben. "Diese Begegnung mit dem Papst hat mir unheimlich viel Kraft gegeben. Das wirkt bis heute nach", sagt Pauls. Fasziniert habe sie, was der Pontifex in seinem hohen Alter noch leiste.
Berührt hätten sie auch die vielen jungen Menschen. "Diese Stimmung war einfach ansteckend. Für mich ist das gelebte Kirche."
Bis zu 30 Millionen Euro kostete der Besuch die katholische Kirche in Deutschland. Ob der Papst den Deutschen ein Stückchen näher gekommen ist? Zumindest für die Gruppe der Volksfreundleser war es ein beeindruckendes Erlebnis.
Tobias Thieme

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