Mit der Brotkarte begann die Rationierung

Mit der Einführung der Brotkarte am 15. März 1915 begann vor 100 Jahren die Lebensmittelrationierung in Trier. "So veränderte der Erste Weltkrieg das Alltagsleben der Menschen", sagt unser Gastautor Manfred Wilhelmi.

Mit Blick auf die zu erwartenden sozio-ökonomischen Auswirkungen des Kriegsbeginns in Trier wurde bereits am 2. August 1914, dem ersten Mobilmachungstag, unter der Federführung des Oberbürgermeisters Albert von Bruchhausen im Rahmen einer Stadtverordneten-Sondersitzung die Einsetzung einer Verpflegungskommission beschlossen. Vorrangiges Ziel dieser Kommission war es, durch Ankäufe von Mehl bei der Ehranger Walzenmühle und der Löwener Mühle den seit Kriegsbeginn beobachteten Preisanstieg einzudämmen.
Nachdem die Stadt Trier im ersten Kriegshalbjahr ihre Bevölkerung durch zahlreiche Appelle zu einem sparsamen Umgang mit Mehl und Brot aufgefordert und auf dirigistische Eingriffe im Nahrungsmittelbereich verzichtet hatte, erfolgten im Januar 1915 starke Einschränkungen im Konsum der wichtigsten Grundnahrungsmittel.
Auf der Grundlage der am 25. Januar 1915 verkündeten "Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Brotgetreide und Mehl" wurden in einer Verbrauchsregelung unter anderem die "Pro-Kopf-Mengen" für Mehl und Brot und deren Verteilung festgelegt.
Volkszählung und Brotkarte


Um einen Überblick über den notwendigen Nahrungsmittelbedarf der Trierer Bevölkerung zu erhalten, gab es Anfang Februar 1915 eine Volkszählung. Die Zählung ergab 53 408 Personen, die sich auf rund 14 000 Haushaltungen verteilten. Es wurde eine Unterscheidung in "Versorgungsberechtigte" und "Selbstversorger" vorgenommen, wobei man in der Stadt Trier mit rund 3000 Selbstversorgern rechnete.
Um eine ordnungsgemäße und reibungslose Verteilung der Brotkarten zu erreichen, teilte die städtische Verwaltung nach Abschluss der Volkszählung die Stadt in 43 Bezirke ein. Jeder Brotkartenbezirk unterstand einem Vertrauensmann, der sonntags die Brotkarten- und später die Lebensmittelkartenausgabe vornahm. Die Bezirke, die zu ihnen gehörenden Häuser sowie die Namen der Vertrauensleute wurden am Sonntag, 14. März 1915, in der Presse bekannt gegeben. Zum gleichen Zeitpunkt erfolgte die Ausgabe der ersten Brotkarte, die am Montag, 15. März 1915, gültig wurde.
Gleichzeitig mit der Brotkarte erhielt jeder Versorgungsberechtigte in Trier ein Brotbuch, das beim Empfang von Brot-, Lebensmittel- und Zusatzkarten vorzulegen und deshalb aus dem Trierer Alltag nicht mehr wegzudenken war.
Die Stadtverwaltung Trier entschied sich von Beginn an für das Einzelkartenprinzip, das heißt, jeder Versorgungsberechtigte, auch das Kleinkind, erhielt eine Brotkarte. Jede Brotkarte enthielt Marken, die je nach Versorgungslage zum Kauf von 1500 bis 2000 Gramm Brot berechtigten und von Beginn an für eine Kalenderwoche, später für zwei beziehungsweise vier Kalenderwochen gültig war.
Weniger Bäckereien


Mit Blick auf die schlechte Backfähigkeit des Mehles, die häufig unsachgemäße Herstellung des Brotes und in der Kenntnis, dass die Sicherstellung des Kohlenbedarfs für die Bäckereibetriebe immer schwieriger wurde, entschloss sich der Trierer Stadtrat im April 1917 zu einer Zusammenlegung der 96 selbstständigen Trierer Bäckereien. In den verbleibenden elf Betrieben wurde nicht nur eine deutliche Verbesserung der Brotqualität erreicht, sondern auch eine wesentliche Kohlenersparnis erzielt. Jeder Bäcker musste in jedes Brot den Erkennungsbuchstaben des Betriebes (zum Beispiel A für Antoine, B für Bley) einstempeln.
K-Brot - Kriegsbrot


Durch die Verwendung von gekochten Kartoffeln ergab sich für den Verbraucher eine bekömmliche Streckung der Mehlvorräte. Für die Zubereitung von Roggenbrot verwandte man einen mindestens zehnprozentigen Zusatz von Kartoffeln. Bei Verwendung von mehr als zehn Prozent musste das Brot mit dem Buchstaben "K" bezeichnet werden. Im "Steckrübenwinter" 1917 wurden statt Kartoffeln auch Rüben verwandt.
Kriegsküche


Nach Beginn des Krieges erfuhr das bereits seit 1905 in Betrieb befindliche Trierer Volksspeisehaus in der Jüdemerstraße täglich einen starken Zulauf, insbesondere von 600 bis 700 Kriegerfrauen, die nicht in der Lage waren, sich selbst und die Kinder zu ernähren. Trotz gestiegener Lebensmittelpreise kostete dort ein Mittagsessen nur 55 Pfennig.
Es dauerte zwei Kriegsjahre, bis die Stadt Kriegsküchen einrichtete. Die erste Kriegsküche wurde am 31. Juli 1916 in der Rhenaniahalle (Saarstraße) eröffnet, es folgten eine zweite Küche in der Deutschherrenstraße und der Ausbau von 15 über die Stadt verteilten Ausgabestellen. Nachdem das Versorgungsnetz Ende 1916 ausgebaut war, konnten 20 bis 25 Prozent der Trierer Bevölkerung über die Massenspeisung versorgt werden.
Fensterbrettplantagen


Die Schrebergärten, das Pachten von Kriegsgärten, die Kleintierzucht in und am Hause und die Fensterbrettplantagen waren Ausdruck der Bestrebungen, den staatlich zugewiesenen Lebensmittelanteil zu ergänzen. So konnten bis August 1918 von der Stadtverwaltung Trier 745 Kriegsgärten verpachtet werden.
Bereits im Juli 1917 kontrollierte eine besondere Feldpolizei die Gemüseflächen in und um Trier, was aber die Diebe nicht davon abhielt, Kartoffeln und Gemüse mit Handwagen abzutransportieren.
Keine Erfahrung


Die Brotgetreideversorgung war die erste Maßnahme der Zwangsbewirtschaftung und besaß exemplarische Bedeutung für den weiteren Ausbau der Nahrungsmittelrationierung in Trier.
Da die Reichsregierung zu Beginn des Ersten Weltkriegs weder über eine Lebensmittelvorratshaltung noch über Erfahrungen in der Zwangsbewirtschaftung verfügte, waren viele der folgenden Rationierungsmaßnahmen mehr von Panik als von Planmäßigkeit bestimmt. Ein solches Desaster wurde im Zweiten Weltkrieg vermieden. Über die gesamte Kriegszeit hinweg (1939 - 1945) wurde eine hinreichend gute Ernährungslage der Bevölkerung sichergestellt.
Manfred Wilhelmi
Extra

Manfred Wilhelmi schreibt seit zwölf Jahren die "Stadttrierische Chronik", die jährlich im Kurtrierischen Jahrbuch (KTJ) veröffentlicht wird. Im Rahmen seiner ehrenamtlichen Tätigkeit in Stadtbibliothek und Stadtarchiv Trier hat er sich unter anderem mit der Nahrungsmittelrationierung im Ersten Weltkrieg im Stadtkreis Trier befasst. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen sowie ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis wurden in den Kurtrierischen Jahrbüchern KTJ 48/2008 und KTJ 51/2011 veröffentlicht. red Bildnachweis: Stadtarchiv Trier; Sammlung 141/1-7

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