Mit Kunst den Weg in die Freiheit finden

Trier/Wittlich · Mit zehn hat Marco (Name geändert) begonnen, Alkohol zu trinken und Drogen zu nehmen. Später landete er wegen schwerer Körperverletzung in der Jugendstrafanstalt Wittlich. Kunsttherapeutin Gabriele Schuler hilft ihm und weiteren Gefangenen, sich mit Hilfe von Farben oder Formen auszudrücken.

 Die Beschäftigung mit Kunst soll jungen Strafgefangenen helfen, Zugang zu ihren Gefühlen zu bekommen. Foto: privat

Die Beschäftigung mit Kunst soll jungen Strafgefangenen helfen, Zugang zu ihren Gefühlen zu bekommen. Foto: privat

Trier/Wittlich. "Alles fing damit an, dass sich meine Eltern trennten, als ich sieben Jahre alt war." Mit diesem Satz beginnt Marco, ein Strafgefangener, einen Brief, der im Rahmen des Kunstprojekts "Flaschenpost" im vergangenen Jahr über die Gefängnismauern nach draußen ging. Genauer gesagt ins Trierer Stadtmuseum Simeonstift. Dort wurde die von Polizeipräsident Lothar Schömann initiierte Ausstellung "Give Respect - get Respect" gezeigt, an der sich neben der Jugendstrafanstalt (JSA) Wittlich weitere Jugendhilfeeinrichtungen beteiligten (der TV berichtete).
Seit 2011 arbeitet Kunsttherapeutin Gabriele Schuler wöchentlich mit 30 bis 40 jungen Strafgefangenen in der Wittlicher JSA. Es geht dabei um viel mehr als um Malen und Töpfern: "Etwa darum, dass die Strafgefangenen einen Zugang zu ihren Gefühlen finden", sagt Schuler. Denn das falle ihnen oft schwer.
Wie Schüler, die eine Fremdsprache lernen, lernen die JSA-Insassen, sich ihrer Gefühle bewusst zu werden und sie zu benennen.
"Geschockt haben mich die Entwicklungsdefizite, die sich in der Gestaltung zeigen", sagt die Kunsttherapeutin. Denn in den Werken spiegele sich das entwicklungspsychologische Niveau wider. Es komme vor, dass die Tonarbeit eines 17-Jährigen der eines Vierjährigen entspreche.
In Marcos Flaschenpost steht weiter, dass seine Mutter kurz nach der Trennung wieder heiratete und der anfänglich nette Stiefvater bald Kinder und Frau verprügelte. Mit zehn fing Marco an, Alkohol zu trinken und Drogen zu nehmen. Eine Clique gab ihm Halt. "Ich hatte Drogen, Geld, Waffen und Leute, die mir immer geholfen haben." Dann beschreibt er seine Taten: von Diebstahl bis zur schweren Körperverletzung. Und er berichtet vom Leben im Knast, von seinen Erkenntnissen und Hoffnungen.
Während der Kunsttherapie - in Gruppen oder Einzelsitzungen - beschäftigen sich die Gefangenen "über ein anderes Medium" mit Themen wie Respekt oder Freiheit. "Dadurch werden sie gesprächsbereiter und offener", sagt Schuler. Ihr gegenüber und auch untereinander: Denn auch die, die sich auf dem Gefängnishof nicht anschauten, redeten miteinander. Gesprochen wird auch am Ende jeder Stunde: positive Entwicklungen und die Fähigkeiten des Einzelnen werden aufgezeigt. "Als Motivation, sich weiterzuentwickeln", erklärt die Therapeutin.
Dem künstlerischen Schaffen sind in der JSA Grenzen gesetzt. Denn im Gefängnis steht Sicherheit über allem: "Scheren etwa sind tabu", berichtet Schuler.
Auch Marcos Brief steckte in einer Plastik - statt in einer Glasflasche. Während sein Kunstwerk zur Ausstellung gebracht wurde, musste er noch hinter Gittern bleiben. "In ein paar Wochen ist es so weit, ich beginne ein neues Leben und ich lasse das alles hinter mir", steht in seiner Flaschenpost.
Die Kunsttherapie ist ein kleiner Baustein, damit ihm das gelingt.

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